Mittwoch, 8. Juli 2015

Rollenspiel - die schönste und nützlichste Realitätsflucht der Welt



Ich tauch mal wieder ab für ein verlängertes Wochenende. Werde für König Arthus' Kreuzzug Lebensmittel und Nachrichten transportieren, eine Kolonie auf einem Eisplaneten aufbauen, durchgeknallte Computer-Technik-Priester ausschalten, nach der Schlacht ein paar Luftschiff-Piraten wieder zusammenflicken, mir von den Stimmen in meinem Kopf nützliche Tipps geben lassen... Rollenspiel-Con steht an!

„Pen & Paper“, Stift und Papier, lässt sich am besten als „Improvisationstheater ohne Publikum“ beschreiben - und klingt damit nicht mehr ganz so verrückt (oder versaut) wie Rollenspiel. Jeder denkt sich einen Charakter mit Stärken und Schwächen aus, der in einer Welt mit festgeschriebenen Regeln ein vom Spielleiter ausgedachtes Abenteuer bestehen muss. Ob ihm das gelingt, entscheiden auch die Würfel, die für jede Herausforderung geworfen werden (manchmal werden auch Karten gelegt, was den Erzählfluss nicht so stört). Pen & Paper ist der Ursprung des Rollenspiels, aber zugleich seine unbekannteste Variante. LARPer (Live Action Role Play) mit Kostümen und Schaumstoffwaffen erregen mehr Aufsehen,Computerspiele wie „World of Warcraft“ sind kommerziell erfolgreicher. Viele Autorenkollegen von mir machen Foren-RPGs und schreiben gemeinsam online Geschichten weiter. Ich dokumentiere mit Freunden auch meine Runden, aber der Unterschied ist: Wir haben die Geschichten "erlebt" - in unseren Köpfen, während wir um den Tisch saßen, Chips knabberten und uns "in character" anschrien.

Mittlerweile ist Rollenspiel schon auf dem Kinderkanal angekommen: In der Sendeschluss-Endlosschleife lernt Bernd das Brot diese "Nerds" kennen - vielleicht sind sie jetzt tatsächlich endgültig cool geworden? George R. R. Martin zumindest hat ihren Sieg bei seiner Lesung in Hamburg verkündet, als er darüber sprach, wie er in seiner Kindheit gehänselt wurde:"Damals waren Comics etwas für Freaks. Heute haben wir gewonnen. Heute beherrschen wir die Welt."

Trotzdem mache ich mir nicht immer die Mühe, meinen Bekannten zu erklären, welchem Hobby genau ich da fröne. "Spielenachmittag" nimmt das ältere Semester einfach so hin und denkt an Karten oder Mensch-ärgere-dich-nicht. (Ganz davon abgesehen, dass viele Stunden bei einer Convention tatsächlich mit Tichu draufgehen. Achtung, macht süchtig!) Ich hab nicht immer Lust auf die schrägen Blicke, die mir nach der Erklärung zugeworfen werden. Ein Freund von mir wurde immer besorgter, je mehr ich erzählte, und glaubte mich jedes Mal korrigieren zu müssen:

"Dann habe ich mich also in den Kampf gegen die Aliens gestürzt..."
- "Du meinst, die Figur, die du darstellst, hat sich in den Kampf gestürzt."
Er hatte so Angst, ich könnte den Bezug zur Realität verlieren!

Bin ich in meinem Bekehrungsmodus, habe ich sofort alle Argumente parat, warum Pen & Paper das tollste Hobby der Welt ist: Es fördert die Kreativität, ich lerne, mich in andere Menschen hineinzuversetzen, ich verbringe Zeit mit realen Freunden - meist kochen wir gemeinsam, unterhalten uns "out of play" und unternehmen auch sonst dinge zusammen -, ich kann verschiedene Problemlösungsstrategien durchspielen, mich mal richtig austoben. Nicht umsonst wird Rollenspiel auch in der Therapie eingesetzt. Mein ältester Rollenspielcharakter bildet jetzt sogar die Basis für eine Romantrilogie, an der ich gerade schreibe.

Viele Rollenspieler, die ich kenne, haben mit der 1984 erstmals veröffentlichten Fantasy-Welt „Das Schwarze Auge“ angefangen. Rund 15.000 Regelwerke hat Ulisses Spiele, einer der großen deutschen Verlage in dem Bereich, seit 2007 davon verkauft. Ulisses rechnet mit 50.000 bis 100.000 Rollenspielern in Deutschland, aber wie viele es genau sind, weiß keiner: Da man sich genausogut einfach so hinsetzen und ohne Regeln drauflos spielen kann, wer will das ernsthaft erheben? Nach einer verlagseigenen Studie ist der typische Vertreter 33 Jahre alt, Akademiker, eher männlich und mag Fantasy. Bis auf "männlich" trifft das alles auf mich zu. Trotzdem bin ich ein bisschen untypisch, weil ich das Rollenspiel erst nach dem Studium für mich entdeckt und gleich mit vielen erfahrenen Spielern zum Teil recht anspruchsvolle Systeme gespielt habe. Die ganzen "Einsteigersysteme" habe ich nie kennengelernt und hatte auch nie eine pubertäre Phase, in der ich einfach nur jeden Abend ein Monster töten wollte. Mir kommt es auf gute Charakterentwicklung an, stimmungsvolle Szenen und interessante Gespräche.

Na ja, und wenn meine Löwin einen Zauberork mit einem Schlag ihres Samuraischwerts in der Mitte spaltet, bin ich auch ein bisschen stolz.

Mittwoch, 17. Juni 2015

Harry Rowohlts Tabak, vom Winde verweht

Als ich gestern gelesen habe, dass Harry Rowohlt gestorben ist, war ich traurig. Es scheint ein schlimmes Jahr zu sein, so viele Größen treten ab. Christopher Lee beispielsweise ist für mich nicht nur ein beeindruckender Schauspieler, sondern auch ein Mann mit einer beeindruckenden Biographie gewesen. Wer sonst kann seinen Regisseur Peter Jackson aus eigener Erfahrung aufklären, wie es klingt, wenn ein Mann von hinten erstochen wird?

Harry Rowohlts Tod macht mich deshalb betroffen, weil ich ihn mal persönlich kennengelernt habe. Wenn ich an ihn denke, denke ich gar nicht an Pu der Bär oder an den Penner aus der Lindenstraße. Ich denke an diese fünf Minuten nach der Lesung "Marx und Engels intim" mit Gregor Gysi, 2011 im Schloss Neuhardenberg. Für meinen Artikel wollte ich gern noch ein paar Stimmen der Künstler haben. Während Gysi von seinen Bodyguards nach Ende der Veranstaltung zielstrebig aus der Kirche gelotst wurde, stand Harry Rowohlt ganz allein am Seitenausgang der Kirche und rauchte eine selbstgedrehte Zigarette.

An das Interview erinnere ich mich gar nicht so, ich stellte die üblichen Fragen. Aber ich erinnere mich an die gemütliche Stimmung, der weite Blick, die untergehende Sonne auf der weißen Kirchenwand. "Ich finde es furchtbar, wenn überall Zigarettenkippen herumliegen, auch als Raucher", sagte Harry Rowohlt, als er am letzten Stummel angekommen war. "Ich zeige Ihnen mal einen Trick." Er rollte das letzte Ende der erloschenen Zigarette auf und ließ den Tabak wie ein Opfer an die Erde im Winde verwehen - er rauchte filterlos. Dann nahm er sein Feuerzeug zur Hand und ließ das Fitzelchen Papier geübt in Flammen aufgehen, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen. Nur ein leichter Geruch von Ruß blieb zurück und Harry Rowohlt lächelte in seinen Bart über mein Staunen. "Sehen Sie, da bleibt keine Spur."

Das war ein schöner und sehr persönlicher Moment, wie man ihn als Journalist mit einem "Promi" selten erlebt. Und eins ist sicher: Ansonsten hat Harry Rowohlt in seinem Leben viele Spuren hinterlassen.

Donnerstag, 21. Mai 2015

Bloggen oder nicht bloggen: Über Verantwortung und falschen Druck

Fast ein Monat seit meinem letzten Blogeintrag - der ausgerechnet darum ging, sich als Schreiberling in den Hintern zu treten und was geschafft zu kriegen. Süße Ironie - oder bittere? Als ich im April 2014 mit diesem Blog gestartet bin, hatte ich mir vorgenommen, jede Woche was zu posten und hab das immerhin grandiose zwei Monate durchgehalten. Es ist nicht mal so, dass mir keine Themen einfallen, aber weil ich den Anspruch habe, mehr zu schreiben als "Ich bin noch da und heute ist schönes Wetter", muss ich ein bisschen Gehirnschmalz und Kreativität in meine Texte stecken. Und je besser es mit meiner Selbständigkeit läuft (Kurze Werbeeinblendung: Journalismus, Lektorat und Umweltpädagogik), desto mehr muss ich diese beiden wertvollen Ressourcen unter meinen Tagesaufgaben aufteilen.

Also ist das nur eine etwas ausführlichere Art, um zu sagen: Keine Ahnung, was ich heute schreiben soll? Ups, erwischt! Aber je länger ich meinen Blog verwaist lasse, desto größer wird mein schlechtes Gewissen. Vor allem, wenn mein treuer Fan - meine Schwester - mich so ziemlich bei jedem Telefonat fragt, wann wieder was Neues kommt.

Es ist schön, seine Leser persönlich zu kennen. Das ist das, was ich auch am Lokaljournalismus mag: Zwar besteht die Gefahr, dass du als jemand, der in der Stadt lebt, über die er schreibt, voreingenommen ist. Andererseits schadet es garantiert nicht dem journalistischen Verantwortungsgefühl, wenn man am nächsten Tag dem Menschen auf der Straße begegnet, den man gerade verrissen hat. Und am Tag darauf und am Tag darauf.

Durch die Verknüpfung über Social Media wird plötzlich die ganze Welt zum berüchtigten Dorf, und manchmal mache ich mir Gedanken um den Druck, der dadurch entsteht - auch bei mir. Ich freue mich über Freundschaftsanfragen bei Facebook und finde Vernetzung wichtig. Außerdem habe ich so schon viele tolle Leute kennengelernt, wie zum Beispiel meine Lektoratspartnerin "Textehexe". Aber manchmal muss ich mich daran erinnern, wessen Meinung mir eigentlich wichtig sein sollte: die der Menschen, die mit mir durchs Leben gehen, bei denen ich zu spontanen Aufheiterungs-Pfannkuchen (für die Brandenburger: Eierkuchen) vorbeikommen und die ich noch nachts um halb zwei anrufen kann, wenn es mir schlecht geht. Und weniger die der "Community" mit ihren undurchdringlichen Motiven. Aber solange ich selbst eine meiner geliebten Schreibnächte sausen lasse, um lieber spontan mit einer Freundin an die Ostsee zu fahren, bin ich wohl noch nicht internetsüchtig.


Ich gehöre noch zur Generation, die nicht mit dem Internet aufgewachsen ist. Das erste Mal war ich mit ... 15 oder so online, im Internetcafé unserer Schule. Eine Freundin wollte mir zeigen, wie lustig es ist, in Chatrooms Leute zu veralbern. Wir gaben uns also als heiße Schnecken im kleinen Schwarzen aus, flirteten mit einem Kerl und lachten sehr viel, bis der plötzlich schrieb: "Ja, schon klar, Andi. Wir sehen uns gleich im Unterricht." Von der anderen Seite des Raums grinste uns eine dritte Freundin an - die uns gerade ganz schön hochgenommen hatte. Das hat sich bei mir sehr eingeprägt: Niemand stellt online den dar, der er wirklich ist.

Einmal bin ich in einem Forum wegen meiner "Reality first" und "Ich kenn euch doch nicht wirklich"-Einstellung angefeindet worden. Nochmal: Sicher kann man online wundervolle Freunde finden. Aber ich denke, an irgendeinem Punkt ist es doch schön, wenn man den Schritt weitergeht und Leute dann persönlich kennenlernt. (Aber bitte vorsichtig. Ladet NICHT wildfremde Männer zu euch nach Hause ein, wenn eure Eltern nicht da sind, wie ... Bitte nicht!) Mittlerweile gab es schon ein Schreibnacht-Treffen in Berlin und wir wollen das demnächst mit einem Picknick fortsetzen. Da freue ich mich schon sehr drauf.

P.S. Eine Meinung, die mir auch wichtig ist, obwohl ich die Person nur vom Telefon und aus Emails kenne, ist die meiner Lektoratskunden. Gerade gestern hat die Autorin meines aktuellen Auftrags einen ganz süßen Blogeintrag geschrieben über ihre persönliche Erfahrung mit dem ersten Abschnitt meiner Anmerkungen. Es ist wunderbar, in die Haut des anderen zu schlüpfen und seine Sicht auf die eigene Arbeit zu erleben. Das stärkt auch das Verantwortungsgefühl: Das ist ein Mensch, der mir sein "Baby" anvertraut. Entsprechend liebevoll, wenn auch streng, muss ich das Manuskript behandeln.

Donnerstag, 23. April 2015

Schreibnacht - der richtige Tritt in den Hintern für Autoren

Ja, ich weiß, nach meinem letzten Beitrag erwarten regelmäßige Leser meines Blogs (nebenbei: danke und schön, dass ihr wieder reinschaut!), dass ich mein Versprechen einlöse und über die Veranstaltung im Nationalpark berichte, wie sich Landwirte/Schaf-/Alpaka-/Pferde-/Rinderzüchter gegen Wölfe schützen können. Aber keine Angst, das Thema Wolf wird uns noch lange beschäftigen. Ich bin momentan nämlich voll im Schreibfieber, und "Schuld" daran ist die #Schreibnacht. Wie ich dieses Thema für meinen Blog-Titel "Grenzverkehr" zurechtbiege? Nun, Grenzen überschreite ich bei der Schreibnacht auf jeden Fall, wenn auch eher der inneren Art: meine Leistungsgrenze oder die Grenze, die der innere Schweinehund mir setzt. Ja, das ist etwas weit hergeholt, aber verklagt mich doch! Über schöne Sachen kann man auch mal Schönes schreiben.

Der Feind: der Schweinehund!

Natürlich entdecke ich alles wieder zu spät: Passend zur 19. Schreibnacht bin ich eingestiegen, habe am Freitag das Jubiläum zum 20. mitgemacht und gestern Abend dann den kleinen Ableger, den "Schreibabend", der sich nur darin unterscheidet, dass er früher anfängt, früher endet und keinen Stargast hat. Jennifer Jäger hat sich das Ganze ausgedacht und ist dafür jetzt sogar schon in der Süddeutschen portraitiert worden: Weil sie in der Schule für ihr Hobby Bücherschreiben ausgelacht wurde (wat sind das für Leute?), hat sie sich Verbündete online gesucht. Jeder sitzt an seinem Rechner, arbeitet an seinem persönlichen Projekt, aber im Forum, auf Facebook und bei Twitter (Platz 5 Freitagnacht - deutschlandweit!) stacheln sie sich gegenseitig an: Wie viele Wörter schafft ihr in der Stunde? Habt ihr euer Ziel erreicht? Man kann an den lustigen Spielchen teilnehmen - "Baue die Zahl 20 (wegen Jubiläum) in deinen Text ein!" -, den Special Guest des Abends (Autor, Verleger, Lektor) mit Fragen löchern oder sich vom Chat so ablenken lassen, dass man auf einmal gar nicht mehr arbeitet.

Ich bin überhaupt keine Nachteule. Ich bin zwar auch kein Frühaufsteher, aber meine größte Leistungsfähigkeit entspricht in der Regel der wissenschaftlich errechneten Kurve: Wenn ich vormittags konzentriert dransitze, schaffe ich am Tag am meisten, abends ist irgendwann Schicht im Schacht, und um zwei Uhr morgens, wenn in der Politik oft die wichtigsten Entscheidungen fallen, liege ich gerne im Bett. Da kommen mir vielleicht die besten kreativen Ideen (und dann ist immer die Frage: Aufstehen und notieren oder sich drauf verlassen, dass man es morgens noch weiß?), aber systematisches Arbeiten? Nee.

An meine erste Schreibnacht bin ich also mit der Einstellung drangegangen, dass ich eh nicht lange durchhalten werde. Eine Kanne Schwarztee, Schokolade - alles schön und gut, aber ich kenn mich doch. Das Ergebnis: Um halb vier Uhr morgens war ich eine der letzten, die aufhörten, und lag danach noch eine Stunde wach, zu sehr mit Adrenalin vollgepumpt, als dass ich hätte schlafen können. Gut, ich schob es auf das Thema - der Protagonist eines Romanprojekts musste seinen ersten Kampf auf Leben und Tod bestreiten. Am Freitag - und gestern Abend - arbeitete ich an einem Sachbuch, einer Anekdotensammlung über Schwedt zwischen 1945 und 1990, die im September zum Jubiläum erscheinen soll. Notizen, historische Daten, durchaus lustig, aber nichts, was einen mit sich reißt. Und es passierte wieder: Ich schrieb wie im Fieber und kam richtig gut voran.

Was passiert da? Brauche ich wirklich den Wettbewerb, um mich zu Höchstleistungen anzustacheln? Ich denke, es hat mehr mit Motivation als mit Konkurrenz zu tun. Wenn sie von Jungautoren um Tipps gebeten werden, sagen viele berühmte Schriftsteller vor allem eins: Schreib! Bring die Ideen aufs Papier, die dir im Kopf rumspuken! Hab keine Angst vor dem leeren Papier/Bildschirm: "Sit your ass down and write!" Seit ich selbständig bin, muss ich mich allein motivieren, und das ist nicht immer leicht, so sehr ich meine Arbeit auch liebe. Gleichzeitig bin ich sehr skeptisch und möchte nicht zu viel von meinen Ideen in die Welt hinausblasen aus Angst, dass mir einer die Idee stiehlt (wie mal eine Zeitschrift, von der ich dachte, dass gerade sie junge JournalistINNEN unterstützen würde, zwar meinen Artikel nicht annahm, aber ein paar Fakten daraus für einen eigenen klaute).

Aber das Schönste an der Schreibnacht ist: Es gibt keine Trolle. Das findet man online wirklich selten, dort, wo sich (scheinbar) anonym jeder auskotzen kann. Ich will auch nicht mehr Kontrolle, aber das heißt nicht, dass ich Lust habe, mich auch noch in meiner Freizeit von Wildfremden bloßstellen und runterziehen zu lassen. Aber in der Schreibnacht-Gruppe sind mir bislang tatsächlich nur hilfsbereite und freundliche Menschen begegnet, die sich gegenseitig Mut machen, das gemeinsame Hobby - oder sogar den gemeinsamen Beruf - zu meistern.

Deshalb hab ich mich auch an der schönen Videoaktion beteiligt, um der Schreibnacht danke zu sagen. Einen Zusammenschnitt wird das Team noch online stellen. Allerdings hab ich jetzt auch ein bisschen Angst: Je berühmter die Schreibnacht wird, desto größer die Gefahr, dass sich doch ein paar Trolle einschleichen.Aber ich denke, wenn wir sie nicht füttern und die Stimmung weiter so konstruktiv bleibt, werden sie sich nicht wohl fühlen und wieder gehen.




Sonntag, 12. April 2015

Wolfsangst 2: Was tun, wenn ein Wolf vor mir steht?

Ich habe von Wölfen geträumt. Ich stand auf einem Hügel und schaute auf eine grasbewachsene Ebene hinunter, als auf einmal ein Rudel von hinten an mich herankam, mich umringte. Die Tiere pressten ihre Nasen an meine Hände. Ich stand ganz still und aufrecht, aus Angst, sie zu verscheuchen. Dann wachte ich auf, mit einem Gefühl großer Glückseligkeit. Hinterher habe ich mich sehr darüber amüsiert, dass ein Traum, der für viele andere der absolute Alptraum wäre, bei mir genau die gegenteiligen Gefühle auslöst.



Als ich im August 2010 im Wolfcenter Dörverden mithalf, mich eine Woche lang um sechs 15 Woche alten Wolfswelpen zu kümmern, amüsierte sich meine Mit-Praktikantin köstlich über mein "Fanverhalten". Sie selbst ist studierte Biologin und sieht die Tiere etwas nüchterner. Aber für mich ging ein Traum in Erfüllung. Meine Erlebnisse habe ich unter dem Titel "Tagebuch einer Wolfsnanny" in der Ausgabe 1/2011 des Wolf Magazins zusammengefasst. Wenn ich deshalb solche Geschichten lese wie aus Niedersachsen, wo eine Frau mit ihrem Golden Retriever von mehreren Wölfen aus dem Wald "hinausbegleitet" wurde, spüre ich zuallererst: Neid. Das klingt für manche absurd, ist aber so. Das heißt nicht, dass ich die Angst der Menschen nicht ernst nehme. Ich habe schreckliche Angst vor Spinnen und man kann mir tausendmal sagen, dass sie nichts tun: Ich bekomme Herzrasen und Schweißausbrüche, wenn ich diese Viecher sehe - selbst wenn sie Wolfsspinne heißen.

Und Wölfe sind sicher mit mehr Vorsicht zu genießen. Wie jedes Tier, besonders jedes Wildtier. Wie jeder fremde Hund und jedes Wildschwein. Wenn ich ein Wolfseminar gebe und die einen Kinder am Ende sagen: "Die sind ja gar nicht so böse" und die anderen: "Es sind ja doch keine Kuscheltiere" - dann habe ich mein Ziel erreicht. Deshalb finde ich es etwas unverschämt, wenn manche Zeitungen "den Naturschützern" pauschal unterstellen, den Wolf zu verharmlosen. Es gab tatsächlich mal eine Tendenz zu behaupten: Es gab keinen Fall, in dem ein gesunder Wolf einen Menschen angegriffen hätte. Aber diese Behauptung habe ich seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gehört. Stattdessen setzen sich echte Fachleute ganz offen mit dem Thema auseinander, wie zum Beispiel Elli Radinger in der (mittlerweile überarbeiteten Auflage von) "Wolfsangriffe - Fakt oder Fiktion".

 Odin sucht Schutz zwischen meinen Beinen vor den wilden Geschwistern -
mich zu zwicken ist für die Welpen tabu.

Klar ist: Der Wolf als Symbol für Wildnis ist genauso ein Klischee wie der böse Wolf von Rotkäppchen. Der Wolf ist eines der anpassungsfähigsten Tiere der Welt. In Rom leben die "Spaghettiwölfe" auf Müllkippen, in Rumänien ist vor einigen Jahren Wolfsmutter Timisch regelmäßig auf Nahrungssuche durch die Stadt gelaufen, vorbei an der Bushaltestelle, wo Pendler schon auf dem Weg zur Arbeit warteten. Aber: Das heißt noch lange nicht, dass sie sofort den nächsten Menschen angreifen wird.

Die "Welt" zeigt zu ihrem oben genannten Artikel ein Foto des Wolfs im Wohngebiet von Wildeshausen, das per Bildbearbeitung so weit aufgehellt wurde, dass es nach hellichstem Tag aussieht. Die gleiche Aufnahme in anderen Medien zeigt, dass es dämmerig war. Das Bild ist aus einem Auto aufgenommen, etwas, das einem Wolf weniger Scheu einflößt, weil er es nicht unmittelbar mit "Mensch" verbindet. Die Welt verwendet Zahlen, die nicht ganz zu ihrer Panikmache passen wollen: Neun Fälle in ganz Europa in einem halben Jahrhundert, bei denen ein Mensch durch einen Wolf zu Schaden kam. Da ist natürlich jeder einzelne Fall traurig und zu viel - aber die Statistik steht in keinem Verhältnis zu den Schauermärchen und zu der "gefühlten" Gefahr durch den Wolf. 2013 sind laut Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes 18 Menschen an Bienenstichen gestorben, vier wurden vom Blitz erschlagen, zwei von Hunden totgebissen. 300 sollen jährlich nach Schätzungen an Kugelschreiberminen ersticken! Natürlich gibt es weniger Wölfe als Bienen, aber auch in den USA, wo der Wolf in den drei Staaten Minnesota, Wyoming und Montana von der Liste der bedrohten Arten gestrichen ist, schafft er es (anders als der Bison) auf keinerlei Sterbestatistik.

Auch mit ihren Milchzähnchen kriegen die Welpen schon eine Rinderschulter klein

Und nein, auch nicht im Winter wird es gefährlich: Gerade bei viel Schnee hat der Wolf mit seinen großen Pfoten einen großen Vorteil gegenüber Reh und Hirsch, die viel tiefer in der weißen Pracht einsinken. Gerade im Winter haben Wölfe meist genug zu fressen. Die einzelnen Wölfe, denen man jetzt vielleicht begegnen kann, sind Jungtiere auf der Suche nach einem eigenen Revier, die auch mal neugierig um Menschen herumschnüffeln, wenn ihnen keiner Respekt beibringt.

Gerade habe ich ein Interview im Fernsehen mit dem Jäger gesehen, der von einem Wolf "angegriffen" wurde "kurz nach Mitternacht!", wie die Bild dramatisch betont. Schon als ich die erste Aussage las, dachte ich mir: "Angriff" sieht für mich noch anders aus - mit gefletschten Zähnen anspringen oder so. Der Jäger sagte selbst, dass er nicht genau wisse, was das war. Er schoss in den Boden und verjagte das Tier, das auf Schreien nicht reagierte. Das ist etwas beunruhigend und man sollte dringend Verschreckungsmaßnahmen ergreifen wie Beschießen mit Gummigeschossen oder ähnliches. Aber es ist und bleibt trotzdem ein Einzelfall.


2003 hatte ich das Vergnügen, den leider im vergangenen Jahr verstorbenen Werner Freund kennenzulernen. Der "Wolf unter Wölfen" erzählte mir, dass er in seiner jahrzehntelangen Arbeit mit den Tieren zwei brenzliche Situationen hatte, die er beide selbst ausgelöst hatte. Einmal "markierte" er gedankenlos im Revier einen Baum, ein anderes Mal hatte er die Jacke des falschen Wolfsrudels (er hatte mehrere Arten aufgezogen) an beim Betreten des Geheges. Der Leitwolf stürmte auf ihn zu und Freund trat ihm mit voller Wucht vor die Schnauze. Dann verließ er das Gehege, wusch sich, zog die richtige Jacke an - und das Rudel begrüßte ihn so freudig wie eh und je.

Finde den Fehler: Das große Tier ist kein Wolf, sondern ein tschechischer Wolfshund, 
der den Wolfswelpen Manieren beibringen soll. So leicht sind Hunde und Wölfe zu verwechseln.

Also soll man einen Wolf vor die Schnauze treten, wenn man ihm begegnet? Nun, so nah werden Sie ihm wahrscheinlich selten kommen. Aber nehmen wir mal an, Sie leben in Niedersachsen, gehen morgens zur Bushaltestelle und da steht ein Wolf.

1. Sie gehören nicht ins Beuteschema. Wölfe jagen Vierbeiner, die sich nicht so selbstsicher bewegen, als gehöre die Welt ihnen. Der Wolf hat tendenziell eher vor Ihnen Angst als umgekehrt.
2. Stehen Sie also aufrecht und ruhig. Rennen Sie auf keinen Fall weg!
3. Kramen Sie nicht in der Tasche rum, das könnte dem Wolf den Eindruck vermitteln, Sie wollten ihn füttern - wie es vielleicht dumme Menschen schon mal getan haben.
4. Schauen Sie dem Wolf nicht herausfordernd in die Augen, sondern über seine Schulter hinweg. Sie können ihn ruhig ansprechen und ihn sagen, dass er sich verdrücken soll, aber auch rufen und in die Hände klatschen, wenn Sie mögen.
5. Wenn Sie den Rückzug antreten, dann langsam. Aber in den allermeisten Fällen wird er es tun.

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Aber wo gibt es die schon?

Eigentlich wollte ich noch etwas zum Thema Wölfe und Nutztiere erzählen nach den neusten Erkenntnissen von einer Infoveranstaltung für uckermärkische Landwirte, die ich besucht habe. Aber der Blog ist schon lang genug, das hebe ich mir für einen anderen Beitrag auf. Ich jedenfalls träume weiter davon, auch in Deutschland einen wilden Wolf zu treffen. Vielleicht mach ich Urlaub in Niedersachsen, wenn die Brandenburger weiter so scheu bleiben.


P.S. vom 15. April: Spannend, dass es zwei so gegensätzliche Meinungen geben kann. Nachdem ich mit einigen Wolfsfachleuten gesprochen habe, die ich kenne, tendiere ich aber doch zu einer Seite: Starrt man dem Wolf jetzt in die Augen oder nicht? Das "nicht in die Augen starren", das ich oben geschrieben habe (und das mir auch vom Landesumweltamt bestätigt wurde), gehört zu den Erkenntnissen aus der Gehegehaltung. Aber das gilt auch für den "Alphawolf" und in freier Natur gelten ganz andere Regeln. Wenn man dem Wolf direkt in die Augen starrt, sagen Elli Radinger und Robert Franck (der Mann, der aktuell in Brandenburg die gerissenen Schafe darauf untersucht, ob's der Wolf war), dann signalisiert man ihm, dass man ihn im Griff hat, dass man keine Unterwürfigkeit zeigt, dass man genauso ein Raubtier ist wie er und er sich besser verdrücken soll. Leuchtet mir ein. Man lernt halt nie aus.

Samstag, 14. März 2015

Leipziger Buchmesse: Papierfüchse, Engel-Vogelgrippe und Qualitätssiegel


Wenn einem frühmorgens im Zug schon ein frisch pensionierter Modedesign-Professor im wahrsten Sinne des Wortes in den Schoß fällt, kann es nur ein besonderer Tag werden. Der ICE nach Leipzig ist völlig überfüllt, dabei gilt der Donnerstag als Auftakt der #Buchmesse noch als einer der ruhigen Tage. Zwei zusätzliche Wagons hat die Bahn angehängt (und sagt dreimal durch, dass alle in Wagen eins und zwei nach vorn kommen müssen zum Aussteigen, weil der Bahnsteig bei der Haltestelle Messe nicht lang genug ist), trotzdem stehen oder sitzen viele Passagiere in den Gängen - oder, in diesem einen Fall, kommen ins Wanken und fallen auf mich drauf. Na ja, für den Rest der Reise habe ich einen lustigen Gesprächspartner. 


Ich bin bislang noch auf gar keiner Buchmesse gewesen, mit Ausnahme einer süßen kleinen, die eine Berliner Uni organisiert hat. Dabei wird seit vielen Jahren die Schülerzeitung meines Vaters regelmäßig in Frankfurt prämiert. Aber, wie viele meiner Autorenfreunde sagen, ist die Leipziger viel besser, da kleiner und persönlicher. Was die so klein nennen! Fünf Hallen, die große Glaskuppel (s.o.) des Eingangsbereichs nicht mitgezählt. Verbunden ist die ganze Konstruktion durch Glastunnel mit Blick auf die Übertragungswagen sämtlicher deutscher Fernsehsender, wie es scheint.


Ich habe mir für den Tag kein großes Programm vorgenommen. Wer nur einen einzigen Tag Zeit hat, kommt ohnehin nicht dazu, sich alle Lesungen anzuhören, und Stargast Patrick Rothfuss ist sowieso erst ab Freitag da (ganz davon abgesehen, dass ich ihm gern seinen eigenen Rat geben will: Statt zu reisen, soll er endlich seine Haupt-Reihe fertig stellen! Das gilt übrigens auch für dich, George!). Ich verbringe also den Tag hauptsächlich mit Herumlaufen, das Angebot der fünf Hallen auszukundschaften, in den ein oder anderen Vortrag/Lesung/Podiumsdiskussion reinzuhorchen (die sich in geschickt aufgebauten Nischen so gut wie gar nicht gegenseitig stören) und vor allem Leute zu treffen, die ich bislang nie persönlich getroffen habe, obwohl sie eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt haben. 


Die Stände sind zum Teil wirklich wunderschön gestaltet. Besonders für Kinder, aber auch für Erwachsene gibt es ein Mitmach-Programm zum Lesezeichen-Basteln, Buchbinden und Drucktechnik ausprobieren.


Die Stadt Halle an der Saale versucht, mit kostenlosem Kaffee Unterstützer zu finden für ihr Anliegen, die Stadt zum Weltkulturerbe erklären zu lassen. Die Fotoaktion dazu ist lustig und ich mach gerne mit: Zwar war ich noch nie in Halle, aber ich hab eine schöne Idee für einen Roman, der in dieser Stadt spielen soll. Deshalb steht sie ganz oben auf meiner Wunschliste für einen Städtetrip.


In Halle 1 findet zeitgleich eine Manga-Convention statt. Ein Teil der Besucher schwappt auch in die anderen Hallen. Es ist schon recht amüsant, wenn seltsame rosa Drachenwesen mit Schwanz und Hörnern zwischen den Ständen herumschlendern. Zwischen den ganzen Narutos und Sailor-Moons fallen mir zwei ins Auge, die endlich mal ein bisschen cooler aussehen. 


Als jemand, der für Computerspiele wenig Geduld hat, ist mir der Ego Shooter "Team Fortress" völlig unbekannt, aber statt ihre Mördertaube auf mich zu hetzen und meinen Brustkorb von innen zerpicken zu lassen, bekomme ich Schokolade mit Marzipan aus dem Top-Secret-Koffer. Danke schön!



Aber ich mache mir ein wenig Gedanken, in welcher Gesellschaft sich Jack Skellington neustens rumtreibt... 


Ansonsten freue ich mich zu sehen, dass die Manga-Fans mit Origami-Falten, Tee-Zeremonie und Bogenschießen auch ein wenig echte japanische Kultur zu sehen kriegen. Was dort allerdings fehlt, ist das "Kamishibai". Das gibt es in Halle 2 beim Stand der Edition Bracklo. Gabriela Bracklo habe ich bisher in Berlin und München getroffen, bald erscheint ein Portrait, das ich über sie geschrieben habe, in der Märkischen Oderzeitung. Das japanische "Puppentheater" hab ich  gekauft und bei einem Wolfsvortrag zum Einsatz gebracht. Es stimmt: Die Kinder sind viel aufmerksamer als bei Power-Point. Ganz davon abgesehen, dass es ein echtes Erlebnis ist.


Vor allem aber erreiche ich mein wichtigstes Ziel für den Tag: den Grenzverkehr zwischen virtueller und realer Welt! Endlich treffe ich ein paar nette Menschen, die ich bislang nur "gelesen" habe auf Facebook oder höchstens mal am Telefon gehört.


Autorin Anna Moffey zum Beispiel, die mit diesen kleinen Papierfüchsen eine der schönsten Ideen für Werbeflyer geschaffen hat, die ich bislang gesehen habe. Leider verpassen wir uns öfter mal im Messechaos, aber meine Buchsignatur habe ich bekommen. 


"Textehexe" Susanne Pavlovic hat gerade ihren neuen Fantasy-Zweiteiler "Feuerjäger" herausgebracht - nur deshalb zwei Teile, weil ihr Verleger über die schiere Länge des Manuskripts entsetzt war. Eine starke Heldin, die gerne Zwergenschnaps trinkt, der natürlich am Stand nicht fehlen darf. Hier erreicht uns übrigens die traurige Nachricht von Terry Pratchetts Tod. Ich habe nicht viel von seiner Scheibenwelt gelesen, zu eingeschüchtert war ich von der schieren Masse der Bücher, aber ich weiß zum Beispiel, dass einer meiner liebsten Autoren, Neil Gaiman, ihn sehr schätzte - und kenne natürlich die ganzen Referenzen auf seine Kultserie.


Susanne hat mir schon viele wertvolle Tipps für mein neues berufliches Standbein Lektorin gegeben, unter anderem, mich beim "Autorenkorrektiv" Qindie zu bewerben. Die Selfpublisher wollen die Qualität in dem ausufernden Markt sichern und haben mich dankenswerterweise nach einer Probearbeit als Partner akzeptiert. Seit Donnerstag stehe ich dort online und freue mich, auf der Buchmesse ein paar Kollegen kennenzulernen.


Kein Besuch wäre komplett, ohne beim Bundesamt für magische Wesen vorbeizuschauen. Die stehen im glichen Gang wie die Bundesregierung, die Agentur für Arbeit und das Umweltamt, und die amüsierten Behördenvertreter decken sich am Stand mit Verlaufmappen und Tassen ein, auf denen vor der Verbreitung der Vogelgrippe durch Engel gewarnt wird. Hagen Ulrich und ich haben gerade in einem Parforceritt noch rechtzeitig zur Buchmesse den dritten Band seiner Vampir-Serie veröffentlichungsreif gemacht. Bis dahin wusste ich nicht mal, dass es "Gay Fantasy" gibt. Ich habe als Frau damit auch einen Riesenspaß und würde das Label gar nicht brauchen. Aber Hagen denkt an die 14-jährigen Jungs, die sich vielleicht noch nicht trauen, sich zu outen, die Ermutigung brauchen und Literatur finden möchten, in der die Hauptprotagonisten nicht irgendwelche Standard-Liebespärchen sind. Super Sache! Ich freu mich drauf, als seine Lektorin Band vier vor den meisten anderen lesen zu dürfen! Und in der Geschichte des BAfmW steckt auch noch ein wunderbarer Zeitungsartikel... aber an einem anderen Tag, wenn ich nicht so wunde Füße habe.

Donnerstag, 26. Februar 2015

Internet, das neue Fernsehen

Ich wollte nie zu diesen Snobs gehören, die über den Niedergang des Fernsehens beklagen. Seit es das Fernsehen gibt, wird darüber geschimpft. Im September 1963 hat sogar die Fernsehzeitschrift (!) "Hörzu" einen Artikel gebracht, in dem ein Hausarzt sich kritisch mit dem Einfluss des Fernsehens auf das Familienleben auseinandersetzt. Spätestens mit der Einführung des Privatfernsehns 1984 sehen viele den Untergang des Niveaus gekommen und machten das gern an "Tutti Frutti" fest.

Aber momentan kann ich auch mal wieder kaum fernsehen. Hier werden Menschen gedemütigt, indem sie Kakerlaken essen, da, indem man auf dem Laufsteg jede Kleinigkeit an ihrem Aussehen oder ihrem Charakter bemängelt. Und ich kenne viele, die das schauen. Nicht, weil sie es gut finden. Langeweile, Ekelfaktor, Schadenfreude? Ich halte mich da raus. Selbst den großen Big Brother-Hype einst habe ich komplett übergangen. In der allerersten Staffel habe ich im Vorbeilaufen an einem Fernseher eine einzige Minute mit diesem Gesicht gesehen und war für den Rest meines Lebens bedient.

Um meinen Snobismus noch weiter zu treiben: Die wenigen Programme, die ich aktuell noch schaue, sind EinsPlus, EinsFestival, ZDFNeo, 3sat und arte. Statt auf RTL suche ich mir Comedy beim NDR. Zu meiner Verteidigung: Mit den Simpsons, gelegentlich Southpark, Big Bang Theory und Game of Thrones kriegt man mich auch dran. Aber: Das sind Formate aus Amerika, und wenn ich die Chance bekomme, schaue ich sie mir lieber auf DVD oder online an, wo ich sie in der Originalsprache habe.

Und hier kommen wir zu meinem Lieblings-Fernsehersatz: Youtube! Hier treffe ich alte Bekannte wieder, die aus der ARD-Mediathek schon wieder rausgeflogen sind aufgrund irgendwelcher Gerichtsurteile: der Tod aus dem Comedy Contest zum Beispiel. Was im Fernsehen zu spät am Abend kommt oder was ich verpasst habe, kann ich hier nachholen, wie meinen Lieblingsjahresrückblick von Urban Priol, für die ich alle anderen gerne sausen lasse. Oder die abgesetzt sind wie "Neues aus der Anstalt" - ein herrlicher Appell für das gute alte Wurstbrot ab Minute zwei. Irgendwann wird jeder große Klassiker mal hier hochgeladen, ob Otto Waalkes, wie er den menschlichen Körper erklärt, oder das geniale Fußballspiel der Philosophen von Monty Pythons mit Aristoteles und Beckenbauer.

Aber natürlich gibt es auch ureigene Formate, die nur für den Videokanal produziert worden sind. Und die müssen gar nicht nur zum Lachen sein. Wenn Kloß und Spinne in der Kneipe am Tresen sitzen und darüber diskutieren, wie gut es ist, dass Nazis böse sind, kann einem das auch mal im Hals stecken bleiben. Als Student der Kinderpsychologie scheut sich "lefloid" nicht, in seinen wöchentlichen, subjektiv gefärbten Nachrichtensendungen, solche heiklen Themen wie Sterbehilfe aufzugreifen und die Jugendlichen zum Nachdenken zu provozieren. Und bei Hyperbol TV ist jede einzelne Folge von "Frag ein Klischee" sehenswert: Fragt einen Soldaten, ob man für den Frieden töten kann, eine Frau mit Kopftuch, ob sich Islam und Feminismus nicht ausschließen und einen Tourette-Kranken, ob er es manchmal ausnutzt, straffrei fluchen zu können. Von den gleichen Machern ist "Disslike", wo sich Promis im weitesten Sinne auf Beschimpfungen via Twitter reagieren. Die meisten kenn ich nicht, aber Jürgen von der Lippe zum Beispiel hat das sehr souverän gemacht.

Und, und, und. Es gibt so viele Talente, die mit Youtube eine Chance bekommen, ein Publikum zu finden (und natürlich auch schon längst irgendwelche Strippenzieher, die darin das große Geld sehen). Ich habe so eine Handvoll, bei denen ich immer wieder reinschaue, wie Jon Cozart, der vierstimmig mit sich selbst singend das Schicksal von Disneyfiguren intelligent mit politischen Themen verknüpft - hier sogar mit deutschen Untertiteln, auch wenn die automatische Übersetzung selbst ein Lacher sein kann. Ein unerschöpfliches Thema sind natürlich Filme und Filmkritiken - und eine der besten Varianten, Logikfehler aufzuzeigen, sind die Zeichentrickfilme, wie sie eigentlich hätten enden müssen.

So, jetzt hab ich euch ein paar Stunden Videomaterial verlinkt. Jetzt wisst ihr, was ich tue, wenn ich krank oder nach einer Zahn-OP verstummt auf dem Sofa liege. Have fun!