Montag, 7. Dezember 2015

Kinder und der Wolf: Über den Unterschied von Klischee, Angst und Vorsicht


"Die sind doch gar nicht böse!" Hach, was liebe ich Kinder manchmal. Gerade haben wir die ganzen Märchen durchgehechelt und analysiert, welchen Eigenschaften dem Wolf darin zugeschrieben werden: intelligent, hinterhältig, böse. Aber wenn ich sie frage, warum der Wolf so böse ist, bekomme ich diese Antwort. Weil sie das Fabelwesen im Kopf gar nicht mit dem konkreten Tier in Verbindung bringen. Weil sie zwar die Geschichten kennen, aber die Vorurteile (noch) nicht verinnerlicht haben. Deshalb finde ich es so wichtig, mit Wolf-Seminaren an Schulen, Mehrgenerationenhäuser, sogar Kindergärten ranzugehen.


Ängste sind trotzdem da, auch wenn Kinder es nicht immer zugeben wollen. Wenn ich ihnen am Beginn ein Wolfsheulen vorspiele, sind mir schon manche zusammengezuckt - andere haben umso breiter gegrinst. "Gruselig" klingt es, und wenn sie sich vorstellen, alleine im Wald sowas zu hören ... Aber wann sind Kinder mal alleine im Wald? Die bislang naheste Begegnung mit einem Wolf in Deutschland hatte eine Hundebesitzerin aus Niedersachsen - und wenn die Jäger sich darüber beschweren, dass sie nichts anderes machen könnten, als den Wölfen klatschend hinterherzurennen, sage ich nur: Ja, macht das! Wenn ein Wolf zu wenig Scheu zeigt, greift man im Yellowstone Nationalpark auch erstmal zu Verschreckungsmaßnahmen. Warum wird immer gleich nach dem Abschuss geschrien? Neugierige Wölfe und faule Wölfe, die die kürzeste Strecke durch ein Wohngebiet nehmen, sind nicht automatisch gefährlich.


Kinder sind da noch ganz weltoffen. Als ich beim Jubiläumswochenende der Stadt Schwedt mit meinem Infostand in der Fußgängerzone war, konnte ich das selbst erleben. Aber auch über die kritischen Fragen der Erwachsenen hab ich mich gefreut. Das ist besser, als mit bösem Blick vorbeizugehen und im letzten Moment "Abknallen sollte man se!" zu zischen. Das nützt niemandem was. Besser ist es, darüber zu sprechen, wie man sich verhält, wenn man einem Wolf begegnet, über Schutzmaßnahmen für Nutztiere ... Ich verstehe Landwirte, die sich über den Mehraufwand ärgern. Aber, ganz ehrlich: Jahrhundertelang haben die Menschen Schafe gezüchtet, nur im letzten mussten sie dabei auf Übergriffe von Raubtieren verzichten. Ich denke, wir müssen uns einfach darauf besinnen, wie der Job richtig gemacht wird. Wer allerdings die Welt rein nach "Nützlichkeit" einteilt und alles, was ihn irgendwie stört, abknallen, abhacken, wegreißen will - mit dem ist es schwer zu diskutieren, weil wir eine zu unterschiedliche Philosophie vom Leben haben.


Mittlerweile hab ich schon eine kleine Sammlung an Bildern, die Kinder in meinen Seminaren malen. Das hier von Pauline finde ich super: Mama Wolf bringt dem Welpen einen toten Hasen - da ist nichts beschönigt, verhätschelt, aber da ist auch keine Angst. Der Wolf ist ein wildes Tier, nicht mehr und nicht weniger. Und das Thema spricht gerade Jungs an: Bei zwei Vorlesetagen an der Schwedter Grundschule am Waldrand habe ich schon feststellen können, dass gerade die, die sonst gern auf dem Stuhl rumzappeln, mir bei Wolfsgeschichten förmlich an den Lippen kleben. Wenn es zur großen Pause klingelt und Kinder still sitzen bleiben, weil sie hören wollen, was ich noch zu sagen hab - ein größeres Kompliment kann man nicht kriegen.

Verstehen lernen: Bei Wölfen geht viel über die Körpersprache


Die Wölfe sind da. 37 Rudel und sechs Paare nach dem aktuellen Stand. Ich musste zwar noch auf die andere Seite von Berlin fahren, um eine (höchstwahrscheinlich) echte Wolfsspur zu finden (obwohl wir schon soooo gesucht haben).

Kleinere Hinterpfote sauber in den Abdruck der größeren Vorderpfote gesetzt,
 schnurgerader Verlauf über hunderte von Metern - könnte das Original sein

Sie sind freiwillig gekommen, weil sie sich hier wohlfühlen, weil es schon früher ihr Zuhause war. Sie brauchen keine Wildnis. Mit Vorsicht und Respekt können wir gut zusammenleben. Ich freue mich immer noch auf meine erste "deutsche" Wolfsbegegnung.

P.S. Der Titel des Beitrags ist natürlich an "Peter und der Wolf" angelehnt. Hab's gerade mal wieder gehört und dachte mir: Für seine Zeit - 1936 - ist es geradezu erfrischend, wie wenig echte Böse-Wolf-Klischees darin vorkommen. 1. Hat nur der Großvater vor dem Wolf Angst (der Alte, der die Schauergeschichten kennt), nicht Peter. 2. Kommt der Wolf erst aus dem Wald, nachdem die Menschen von der Wiese verschwunden sind. 3. Schnappt er sich die Ente, das langsamste und dümmste Tier, das nicht mal zu fliegen versucht. Dass die Jäger wild auf den Wolf losballern, der schon längst gefangen ist, finde ich auch interessant. Ein Glück nur, dass in Realität Wölfe nie Beute lebendig verschlucken. Nie wird gesagt, dass die Ente märchenmäßig aus dem Bauch befreit wird - also wird sie jetzt langsam und qualvoll verdaut?

Freitag, 20. November 2015

Lektorin im Interview - also ich

Bislang bin ich diejenige gewesen, die Interviews geführt hat. Mal auf der anderen Seite zu stehen, hat einen Riesenspaß gemacht. Autorin Charlotte Cole, eine meiner Selfpublishing-Kunden, hat sich ein paar lustige Fragen an ihre Lektorin ausgedacht: http://charlottecolewrites.com/2015/11/19/wanderlust-vampire-pralinen-ein-interview-mit-meiner-lektorin-andrea-weil/

Mittwoch, 18. November 2015

Paris, Terror und persönliche Angst

Habe ich Angst?

Ich glaube, irgendwann um halb zwei in der Nacht von Freitag auf Samstag, als ich immer noch mit vor Müdigkeit brennenden Augen vor dem Fernseher saß und die Nachrichten aus Paris verfolgte, hatte ich einen kurzen Moment lang dieses "Als nächstes Berlin"-Gefühl, das mir den Magen zusammenpresste. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ich habe mal versucht, mir vorzustellen, wie es wäre, wie meine syrische Freundin Nadra aus meiner umkämpften Heimat zu flüchten. Habe versucht mir vorzustellen, das Knallen abends sei kein Polenböller, den ein übermütiger Jugendlicher losgelassen hat, sondern Geschützfeuer. Habe mich in der Wohnung umgesehen und überlegt, was ich einpacken würde, wenn ich nur fünf Minuten hätte zur Flucht. Aber auch wenn ich Fantasie habe, ich fühle es nicht. Alles bleibt an der Oberfläche.

Das ist sicher eine Art Schutzmechanismus meines Gehirns. Empathie ja, aber bitte nicht so viel, dass mich die Angst lähmt. Oder die Arroganz des jungen Menschen, der nie ernsthaft verletzt wurde und sich unbewusst für unsterblich hält? Vor gut zwei Jahren wurde ich mit Verdacht auf Krebs ins Krankenhaus gesteckt und eine Woche lang komplett umgekrempelt auf der Suche nach einem Tumor. Als mir die Ärztin das am Telefon ankündigte, brach ich erstmal in Tränen aus. Doch gleich darauf folgte eine seltsame Taubheit, und am nächsten Morgen war ich völlig ruhig. Das konnte einfach nicht sein, Punkt. Und es war am Ende tatsächlich nichts. Trotzdem war diese Woche, in der ich dachte, ich könnte sterben, wohl der Auslöser, dass ich mein Leben komplett umgekrempelt und mich selbständig gemacht habe. Mich auf das besonnen habe, was mir wichtig ist. Aber nicht sofort, nicht wie im Film. Das ging schleichend über Monate.

Mitfühlen hat auch mit Nähe zu tun. Am Freitag dachte ich plötzlich wieder an den Ex einer Cousine, der Polizist in Paris ist. Dabei ist es rund 20 Jahre her, dass die beiden sich getrennt haben. "Nähe" ist ein Nachrichtenwertfaktor. Deswegen sind wir von Paris mehr aufgestört als von dem Krieg in Syrien. Umso beeindruckender finde ich, dass sich viele Libanesen jetzt solidarisieren. Gestern also eine Drohung gegen das Länderspiel in Hannover. Terrorwarnung statt Zeichen gegen Terror. "Die Lage ist ernst." Der Innenminister will keine Details nennen, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen - eine Aussage, die erst recht beunruhigt.

Habe ich Angst? Nein.

Helge Schneider übrigens auch nicht. Zumindest spielt er Gelassenheit in dem Video, in dem er die Absage seiner Veranstaltung verkündet. Ich glaube, jenseits der Darbietung mehr Wut als Angst zu erkennen. Wut auf die Terroristen, die sich einbilden, einen gerechten Krieg gegen Ungläubige zu führen oder was auch immer. Und Trotz, dass sich niemand unterkriegen lassen soll. "Wenn das so weitergeht und ich am Ende morgen auch nochmal absagen muss - dann komm ich Donnerstag wieder."

Also nicht nur ein Schutzmechanismus, sondern auch Trotz. Wieder stand Paris im Fokus der Terroristen und eine Konzerthalle, wo sich nach dem Bekennerschreiben der IS "Götzendiener" träfen. Dass sie sich den Abend des Freundschaftsspiels zwischen Deutschland und Frankreich ausgesucht haben, zeigt, dass sie uns alle treffen wollten. Uns? Unwillkürlich habe ich dieses Wort verwendet. Doch so, wie mir Anfang des Jahres das "Je suis Charlie" im Hals steckenblieb, kann ich jetzt auch nicht "Je suis Paris" teilen - weil ich nicht in dieser Situation war, weil ich es, wie gesagt, nicht wirklich mitfühlen kann, obwohl ich mitfühle. Ja, natürlich ist das einfach eine Art der Solidaritätsbekundung, aber das sollte jeder auf die Art machen, mit der er sich wohlfühlt. Umgekehrt ist mir auch schon in einem Forum angedeutet worden, ich sei ein Heuchler, der mit dem Mitleidsstrom schwimmt, weil es gerade "in" ist. Solche Diskussionen, wie sie gerade online geführt werden, machen mich genauso fassungslos wie Oliver Kalkofe. Das ist der Opfer einfach nicht würdig.

Beten kann ich auch nicht für Paris, denn ich bete nicht. Ich kann Joann Sfar, den Karikaturisten von Charlie Hebdo, sehr gut verstehen mit seiner Botschaft. Bei allem Respekt vor dem ehrlichen Glauben mancher meiner Freunde, ich frage mich manchmal auch, ob die Welt ohne Religion als (vorgebliche) Begründung für Kriege besser dran wäre. Auf der anderen Seite geben Gebete vielen Menschen Kraft, um solch schwere Zeiten durchzustehen, und jede enthält eine Friedensbotschaft. Es gibt eben keine einfachen Antworten auf der Welt, wenigstens nicht auf die entscheidenden Fragen. Auch wenn die, die sie scheinbar liefern, gerade wieder populär werden. Auch wenn ich sie mir manchmal selbst wünschen würde. Aber da muss ich halt durch.

Donnerstag, 5. November 2015

DDR-Alltagsgeschichten aus Schwedt



Als das Publikum anfing, an den richtigen Stellen zu lachen, hat sich in meinem Innern ein richtiger Knoten gelöst. Gestern hab ich meine erste Lesung eines eigenen Werks erfolgreich über die Bühne gebracht: Weißt du noch? Mitten aus'm Schwedter DDR-Alltag. 

Zu jung, zugezogen, Wessi - kein Wunder, dass der Verlag am Anfang leichte Besorgnis anmeldete, ob ich die richtige Autorin für diesen Beitrag zu ihrer Serie wäre. Aber ein Telefongespräch und die Fürsprache des Stadtmuseums haben diese Zweifel ausgeräumt, und vor allem die ersten Leseproben. Monatelang war ich in der Stadt unterwegs und quetschte über 30 Interviewpartner zu den verschiedensten Lebensbereichen aus, durchstöberte Archiv und Chroniken, und am Ende hat Frau Dittberner noch die kleinen Fehlerchen korrigiert, die sich so einschlichen. Für Schwedter ist es so selbstverständlich, dass die Centra-Gaststätte "Schwarzer Panther" genannt wurde, wie sollte ich ahnen, dass das nicht zwei verschiedene Lokale waren?

Vergangene Woche hab ich mir dann so richtig schön den Rücken verramscht, als ich das Bücherpaket aus der Post zum Auto trug. Ich hätte mir den Lieferschein vorher ansehen sollen: 32 Kilo, danke schön. Aber das Gefühl, die Nase in das druckfrische Buch zu halten, hat alles wieder wett gemacht.



Das Manuskript hatte ich ja schon vor Monaten beim Verlag abgegeben und ganz aus den Augen verloren. Jetzt durchblättern und feststellen: Schön ist es geworden, das war toll. Auch wenn man gleich ein kleines schlechtes Gewissen hat: Ist das jetzt eitel? Nee, warum soll man sich nicht über eine gute Arbeit freuen, nur weil es die eigene ist?

Ruft der Kollege aus der Zeitungsredaktion an. "Hast du ne Minute?"
"Klar", sage ich und denke, er hat einen Auftrag für mich.
"Wie alt bist du eigentlich?"
Rausgekommen ist ein Artikel, der mich schon deswegen stolz macht, weil ein Einheimischer mir bescheinigt, den richtigen Ton getroffen zu haben. Die Gratwanderung ist mir gelungen, nicht in Ostalgie abzugleiten und zu beschönigen, aber eben doch die Menschen anzusprechen, die in diesem Land einfach auch gelebt haben und die zurecht nicht wollen, dass ihre Leistungen abgetan werden. Neben der Arbeit noch ein ganzes Waldbad zu bauen, ist für Laien kein Pappenstiel! Das moderne Krankenhaus, die Kitas...


Am Dienstag haben dann einige Passanten nicht schlecht geschaut, als ich für Uckermark-TV einen Sitzsack durch die Gegend schleifte und einfach so vor dem Kaufhaus anfing, laut vorzulesen. Natürlich war ich aufgeregt, aber zum Glück hat mich das nicht dran gehindert, zu lesen und im Interview rüberzubringen, was mir wichtig ist. Übung macht halt doch den Meister. Als ich zum ersten Mal für meinen Chor beim Frühlingskonzert Gedichte vortragen sollte, ging mir die Stimme weg. Jetzt bin ich sogar zur Moderatorin ernannt und hab mal einen Gottesdienst gehalten (andere, lange Geschichte), da weiß ich wenigstens, dass ich mich auf meine Stimme  verlassen kann.



Aber die ersten paar Minuten im Berlischky-Pavillon (tolle Akustik, hab ich schon beim Chorauftritt geliebt!) vergingen trotzdem ein bisschen wie im Nebel. Danke übrigens an Herrn Scheffler, dem ich meinen Fotoapparat in die Hand drücken durfte. Kleine Anekdoten lassen sich zum Glück recht leicht vorlesen, mit den passenden Bildern noch dabei, dass mich nicht alle anstarren. Wenn ich mal durcheinanderkam, trat ich die Flucht nach vor an - "Oh, da hab ich mich gerade verhaspelt, ah, hier geht's weiter" - und das Lachen war freundlich. Ein paar meiner Interviewpartner waren da und drückten mir am Ende warm die Hand, das ist das schönste Lob, dass sie sich in dem Buch wiederfinden.

Mal sehen, wie das wird, wenn ich erstmal ein komplett fiktionales Werk in Händen halte. Der Vertrag für meinen Vampirroman ist ja schon unterschrieben. Das Genre ist immer noch nicht ausgelutscht in meinen Augen, höhö.

Freitag, 30. Oktober 2015

#allhallowsread: Keine Gruselgeschichte

So, morgen bin ich auf einer Quasi-Halloweenparty und hab keine Zeit, um Videos zu drehen, aber ich möchte trotzdem einen kleinen Beitrag zum All Hallows Read leisten. Letztes Jahr habe ich einen Klassiker gelesen, das Gespenst von Canterville. Aktuell gäbe es genügend Gruselgeschichten mit realem Hintergrund, aber in meinem Bücherregal was zu finden, war gar nicht leicht. Deswegen habe ich mich stattdessen für eines meiner absoluten Lieblingsbücher entschieden, "I see by my outfit" von Peter S. Beagle, und versucht, die Sprachbarriere zu überwinden.

P.S. Und wer wieder über Halloween maulen will, den verweise ich ebenfalls auf meinen Blogbeitrag von 2014 zu dem Thema bööööööööse Amerikanisierung.


Samstag, 10. Oktober 2015

Flüchtlinge sagen: Danke Deutschland!



Heute haben syrische Flüchtlinge in ganz Deutschland Rosen verteilt, als Dankeschön, dass sie bei uns eine sichere Zuflucht finden konnten. Ich bin mit einer Gruppe durch das Schwedter Oder-Center gelaufen. Nadra hatte mich dazu eingeladen - und mir die erste Rose überreicht. Ich habe sie und ihre Schwester am Donnerstag zufällig auf der Straße getroffen, zusammen mit Wenke Paul, die in der Flüchtlingsunterkunft Deutsch unterrichtet. Um den beiden allerdings dabei zu helfen, den notwendigen Anmeldekram auf dem Amt zu erledigen, konnte sie nicht gut genug Englisch. Also  sprang ich spontan als Übersetzerin ein. Nadra spricht ausgezeichnet Englisch, sie hat vor dem Krieg in Aleppo Informatik studiert. Auf der Flucht lernte sie innerhalb von drei Monaten Türkisch, deshalb bin ich mir sicher, dass sie auch das Deutsche bald meistern wird, mit der richtigen Anleitung. Sie möchte gern ihr Studium beenden.


Dieser Nachmittag hat mir gezeigt, dass leider momentan viele Zuständige offensichtlich ziemlich überfordert sind: Das Bundesamt in Eisenhüttenstadt hat Nadras Unterlagen nach Prenzlau geschickt statt nach Schwedt, die Organisatoren im Flüchtlingsheim schickten sie zum Rathaus I, dabei sitzt die Ausländer- und Meldebehörde in Rathaus 2, Übersetzer gab es auch keine. Wettgemacht wird das durch nette Beamte, die sich nicht als strenge Paragraphenreiter aufführen. Denn obendrein hat das Bundesamt vergessen, Nadras vorläufige Erlaubnis, sich in Deutschland aufzuhalten, bis über ihren Asylantrag entschieden ist, zu verlängern. Als ich ihr das übersetze, bricht sie fast in Tränen aus: "Heißt das, ich bin jetzt eine Illegale?" Nein, beruhigt sie die Schwedter Beamtin, sie kümmert sich um alles.

Dass in Ostdeutschland gerade die älteren Menschen nicht besonders gut Englisch können, macht die Kommunikation nicht leicht. Aber den Mittelfinger, den ihr ein paar junge Männer aus dem Auto heraus gezeigt haben, hat Nadra sehr gut verstanden. Nicht immer fühlt sie sich sicher auf der Straße, gibt sie zu. Aber im Oder-Center hat sie heute ein paar schöne Begegnungen. Tatsächlich lehnt mal der ein oder andere die Rose mit einem bösen Blick ab, aber vielleicht denkt er auch nur, die Gruppe will was verkaufen. Andere reagieren begeistert, fragen nach, sagen "Herzlich willkommen", machen Fotos. Irgendwann muss sich Nadra die Tränen der Rührung aus den Augen wischen.

Seit einer guten Woche sind wohnen die Schwestern in der zur Unterkunft umgebauten ehemaligen Ehm-Welk-Schule. Dass kurz vor ihrem Einzug ein paar Nazi-Arschlöcher eine Kundgebung vor dem Gebäude gemacht haben, erzähle ich ihr lieber nicht. Die hatten auch nicht wirklich viel Publikum - aber eben leider auch nicht viel Gegenwehr. Kaum ist der Organisator des Bündnisses gegen Fremdenfeindlichkeit in Schwedt in Urlaub, kriegt keiner so richtig einen Protest organisiert. Mit zwei Handvoll Leuten hab ich also im Nieselregen gestanden und den Idioten Bier vorgetrunken - sie hatten nämlich bei ihrem Facebook-Aufruf extra ermahnen müssen, dass Alkohol nicht erwünscht sei auf der Kundgebung. Die kennen wohl ihre Pappenheimer.

Heute also lieber Rosen, Lächeln und Dankeschön. Und weil das Wetter so toll ist, machen wir zu dritt noch einen Ausflug ans Bollwerk. denn die richtig schönen Ecken von Schwedt haben Nadra und ihre Schwester noch gar nicht gesehen. Am glitzernden Wasser müssen sie gleich an ihre Heimat denken, die Gebirge, das Mittelmeer. Doch die Landschaft ist durch den Krieg genauso zerstört wie die historische Zitadelle von Aleppo. ISIS und der syrische Islam haben nichts miteinander zu tun, versichert sie mir. Auch wenn sie ein Kopftuch trägt, kennt sie ihre Heimat als offenes Land, in dem sie wie viele Frauen ihr Studium begann, wo viele verschiedene Religionen zusammenleben. Dann kamen die Fundamentalisten und behaupteten auf einmal, sie seien keine echten Muslime. Verrückte und Verbrecher sind das, sagt Nadra. Doch leider werden zu schnell alle Muslime in einen Topf geworfen, wie mir schon ein Konvertit im Interview sagte.

Ausgerechnet die Geschichte Europas macht Nadra Mut: Nach dem zweiten Weltkrieg lag nicht nur Deutschland in Trümmern, aber Europa hat sich aufgerafft, alles wieder aufgebaut, ist heute friedlich und erfolgreich. Denn wenn der Frieden kommt, will sie sofort wieder nach Hause und Syrien aufbauen helfen. Heimat ist einfach Heimat.

Dass die Deutschen für alles ein System haben und Dinge einfach funktionieren - und wenn nur der Bus pünktlich abfährt -, das bewundert Nadra sehr. Aber ihr fällt auch auf, wie leer die Schwedter Straßen sind, wie wenig junge Leute man sieht und dass hier offenbar nicht so viel gefeiert wird, wie sie es von Zuhaus gewohnt ist. Am Bollwerk aber gefällt es ihr sehr. Der Eismann gibt spontan Waffeln und Kaffee aus als Willkommensgeschenk und setzt sich dazu, um über die unterschiedlichen Kulturen zu plaudern. Nadra freut sich so über diese Herzlichkeit, dass sie ihn zum Abschied umarmt.




Das war für mich ein wunderschöner Nachmittag mit neuen Freunden. Auch wenn nicht jeder überschüssige Klamotten im Schrank hat oder sich zum Deutschlehrer berufen fühlt - einfach nur mit den Neuankömmlingen plaudern und ihnen ein freundliches Gesicht zeigen, das kann schon so viel ausmachen. Und passend ist auch heute meine Posterbestellung eingetroffen:


Ich freue mich aufs nächste Treffen!

Freitag, 18. September 2015

Stuntfrau schlägt Makler nieder



Jaja, lasst mir mal den Spaß einer irreführenden Überschrift - die Aufklärung kommt noch. Heute geht's um eine Grenzüberschreitung, die ich nicht selbst erlebt, sondern nur hautnah dokumentiert habe: Meine Freundin Moni hat sich den Spaß gemacht, im Filmpark Babelsberg an einem Stuntman-Workshop teilzunehmen. Ich bin mir sehr sicher, dass das eine Grenzerfahrung ist, die ich selbst nie teilen werde. Ich bin Realist: So unsportlich, wie ich bin, würde ich mir schon bei der ersten einfachen Übung was zerren, brechen oder im besten Fall schlicht außer Atem kommen und umfallen. Deshalb war ich sehr zufrieden damit, den ganzen Tag neue Funktionen an meiner geliebten neuen Kamera auszutesten. Auch wenn es mich am Ende ziemlich gejuckt hat, mich auch mal an das Dach eines fahrenden Autos zu klammern.


Moni dagegen hat schon einiges an Kampferfahrung. Schließlich betreibt sie seit Jahren mit ihrem Mann Schaukampf. So haben wir uns überhaupt kennengelernt: Ich ging die Straße entlang, als plötzlich vor mir ein Mann mit einem Degen - ach, Entschuldigung: einem Rapier - aus einer Garageneinfahrt sprang. So hatte sie wenig Probleme mit den Faust- und Stockkämpfen in dem Wochenendkurs.


Größere Überwindung, verriet sie mir später, kostete es sie, auf den schmalen Leitern der Kulisse im "Vulkan" herumzuklettern, auch wenn natürlich niemand von ihnen verlangte, aus 20 Metern runterzufallen, wie es in der Stuntshow geschieht.


100 Euro pro Meter Fall bekommt ein Profi übrigens, wenn er an einem Filmset ist. Es ist sehr faszinierend, Christoph, Martin und Co zuzuhören, wenn sie von ihrer Arbeit erzählen. Wehtun gehöre einfach dazu, je gefährlicher ein Stunt, desto höher das Honorar. Es wundert mich nicht, dass in diesem Jahr nahezu alle Action-Film-Fans feuchte Augen bekamen angesichts der unglaublich gut gemachten praktischen Effekte von "Mad Max Fury Road", vor allem, weil wir lange Zeit mit miesen Computeranimationen zugedröhnt wurden. Aber jetzt, wo ich die Stuntleute mal so genau beobachten konnte, mache ich mir doch ein wenig Sorgen, ob wir mit unserem Wunsch nach realistischer Gewalt in Filmen nicht zu viele Menschen in reale Gefahr bringen.


Aber die Stuntleute nehmen das natürlich recht gelassen. Erstens sind sie gut trainiert ("Die Show ist unser Training. Nach einer Dreiviertelstunde davon bist du körperlich total am Ende.").


Zweitens gibt es genaue Absprachen und Sicherheitsvorkehrungen, die sie auch in ihrem Workshop weitergeben. "Hartsein ist Kinderkram. Draufgänger können wir nicht gebrauchen", sagt Martin. Sind das nicht zwei großartige Sätze? Nur, wer einen kühlen Kopf bewahrt und sich an die Regeln hält, kann im Team mitspielen.


Drittens ist aber jedem klar, dass früher oder später irgendwas passieren wird. Jeder, der im Vulkan arbeitet, habe einmal eine ernsthafte Verletzung gehabt, meist direkt am Anfang seiner Karriere. "Das lehrt Respekt." Damit ist kein gebrochener Zeh gemeint oder ein Muskelriss, sondern etwas, das Monate und Monate an Reha benötigt. Wer danach wiederkommt, der bleibt dabei - und hat künftig mehr Respekt vor den Risiken.


Die Kursteilnehmer sind umso mehr von der Show beeindruckt, für die an beiden Tagen die Fortbildung unterbrochen werden muss - gerade weil sie am eigenen Leib erleben, wie schwer es ist, alles zu choreografieren. Am Samstag geht eine Stuntfrau wirklich K.O., weil sie zu früh in den Schlag ihres ca. 50 Kilo schwereren Kollegen reinrennt. Aber das Publikum bekommt das gar nicht groß mit. Die Laien überstehen dank guter Betreuung das Wochenende ohne Verletzungen, obwohl sie noch mehr Fehler machen.


Am Ende bekommt jeder eine Urkunde, ein (auf Wunsch alkoholfreies) Bier und später einen Kurzfilm, den sie am Sonntagnachmittag selbst gedreht haben. Und natürlich einen Muskelkater, blaue Flecken und einen Haufen toller Erinnerungen, die ihnen niemand nehmen kann.



Selbst ich, der ja nichts anderes getan hat, als die schönste Perspektive zu suchen, um die Action einzufangen, bin immer noch beeindruckt. Ach ja, und nach ein paar Insiderstorys noch ein Stück weiter desillussioniert, was das deutsche Fernsehen betrifft. Nicht, dass ich viel erwartet hätte, was den Realitätsgehalt von Reality-Shows betrifft, aber das ist schon ein starkes Stück: Stuntleute sieht der durchschnittliche Zuschauer öfter, als er denkt. Wenn nämlich die angeblich echten Fälle von "Mieten, Kaufen, Wohnen" zu langweilig sind, springt dann mal eine Stuntfrau ein, die in einem "Wutanfall" den Makler in die Badewanne schubsen darf. Hoffentlich hat sie dem vorher beigebracht, wie man richtig fällt.

Dienstag, 1. September 2015

P.S. Starke Worte in der Flüchtlingsdebatte

Nachklapp zu meinem jüngsten Blogbeitrag zum Thema Flüchtlinge. Während bei Facebook die rechte "Protestseiten" gegen Flüchtlingsheime wie giftige Pilze aus dem Boden schießen, melden sich aber auch immer mehr Menschen zu Wort, die für Verständnis werben oder den selbsternannten "besorgten Bürgern" mal den Unterschied zwischen Hetze und freier Meinungsäußerung erklären. Hier eine kleine Sammlung meiner Lieblingsbeiträge. Einerfehlt leider, den finde ich nicht wieder, der nämlich einen sehr interessanten Aspekt ansprach, den wir gerne vergessen: Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Menschen, die aus diesen Ländern flüchten, mit ansehen mussten, wie ihre Familien mit UNSEREN Exportwaffen erschossen wurden!

- Der Postillon sticht mal wieder ins Schwarze mit der Satire, wie die Regierungen am liebsten mit dem Problem umgehen würden: "Alles wieder gut: Österreich versenkt Lastwagen mit 71 toten Flüchtlingen im Mittelmeer"

- "Jetzt lernen Sie meine Oma kennen" - eine Erinnerung daran, dass viele Deutsche auch mal Flüchtlinge waren.

- Jan Böhmermanns Deutschkurs über die Definition von "Asylkritikern"

- Oliver Kalkhofe, der sich als "Gutmensch" outet und den Hasskommentatoren gleich ihre Vorlage mitliefert. 

- Und ja, auch wenn ich mit dem Kram, den die beiden Herren Joko und Klaas anstellen, 0,00 anfangen kann: Danke für die Absage an "Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen".

Ja, darfst du. Du wirst nicht sofort verhaftet, weggesperrt, gefoltert, getötet, wenn du deine Meinung sagst. Deshalb geht es uns so gut. Aber du darfst nicht glauben, dass Meinungsäußerung heißt, dass dir niemand widersprechen darf.

Samstag, 15. August 2015

Heim nach Afghanistan

Meine Schwester saß jüngst im Zug nach Frankfurt, schräg gegenüber von einem Mann mit drei riesigen Koffern, der in einer ihr unbekannten Sprache in sein Handy redete. "Keine Ahnung, worum es ging, aber es klang wirklich schön", erzählte sie mir. Sein Deutsch war dagegen sehr gebrochen. Als sie sich dem Bahnhof Frankfurt Flughafen nährten, brauchte es drei Anläufe, bis Martina seine Frage verstand: Ob er jetzt hier aussteigen müsse. Ja, bestätigte ihm meine Schwester und half ihm mit den Koffern. Und der Mann erzählte strahlend, dass er heute nach Hause fliege, heim nach Afghanistan. Für Martina war das ein Aha-Erlebnis: Wir verbinden Afghanistan nur mit Krieg und Terror, aber für viele Menschen ist es eine Heimat und sie leben gerne dort. Sie schwärmen von der Landschaft, der Kultur und den Menschen. Dem Mann im Zug geht das Herz auf, wenn er daran denkt, endlich nach Hause zu kommen.

Ich habe vor ein paar Jahren die Fotografin Lela Ahmadzai kennengelernt. Sie lebt seit vielen Jahren in Deutschland, seit ihr Vater mit der Familie herzog, um gerade den Töchtern eine vernünftige Bildung zu ermöglichen. Lela beschäftigt sich sehr mit der Rolle der Frau in Afghanistan und hat beispielsweise sehr beeindruckende Beiträge über die Frauenfußballnationalmannschaft gemacht. Nach all den Jahren lässt ihre Heimat sie einfach nicht los.

Die dort stationierten Soldaten mögen es kaum abwarten können, endlich abziehen zu dürfen, doch wer Afghanistan seine Heimat nennt, wird es garantiert nur ungern verlassen wollen. Und das gilt genauso für die Tausenden von Flüchtlingen, um deren Unterbringung aktuell so hart gestritten wird. Sieht man sich die Weltkarte an, woher sie kommen, ist schnell klar: Das sind keine "Wirtschaftsflüchtlinge" in dem Sinne, dass sie sich mal eben ein Nest in einer Steueroase bauen wollen - das sind eher einige Deutsche, deren Lieblingsziel die Schweiz ist. Schließen wir zu schnell von uns selbst auf andere? Stellen sich manche tatsächlich vor, dass die Menschen in Syrien eines Morgens sagen: Ach, wie wäre es, wenn wir auswandern, in Deutschland können wir voll das Geld scheffeln? Das kann nur eine Generation glauben, die in den vergangenen 70 Jahren komplett vergessen hat, wie es war, ein Flüchtling zu sein. Es ist nicht wirklich so, dass es denen "alles in den Arsch geschoben" wird, wie ein Schwedter jüngst bei einer Einwohnerversammlung sagte. 143 Euro im Monat nennt er in den Arsch geschoben? Mag er mal darauf zurückgestuft werden? Oder schauen, ob er Lust hat, in einer Flüchtlingsunterkunft zu wohnen? Oh nein, das Geld scheffeln hier ganz andere!

Aber nicht die gehen durch die Hölle, das sind wieder mal die Flüchtlinge, die ohnehin schon so viele traumatische Erlebnisse hinter sich haben. Als der Postillon titelte: "Flüchtling froh, dass er Hass und Gewalt schon aus seinem Heimatland gewohnt ist", das war der Zeitpunkt, an dem die Satire so ins Schwarze trifft, das es richtig weh tut. Auch hier in meiner Region (großflächig genommen) nimmt die Gewalt zu, werden Menschen anderer Hautfarbe im Park angegriffen und zusammengeschlagen. Vielleicht war sogar einer derjenigen darunter, mit denen ich mich so nett unterhalten hatte (s. "Asyl mit Rollstuhl"). Ich habe Angst, wenn ich sowas lese. Aber ich weiß, dass ich diese Angst überwinden muss, um helfen zu können. In Schwedt hat sich bereits eine Gruppe gebildet, die Ja zu dem Flüchtlingsheim sagt.

Ich kenne jemanden, der seinen Job beim Ministerium an den Nagel gehängt hat - zuständig für die Abschiebung, ganz nah an den Schicksalen. Ich wünschte mir, diese ganzen Meckerer würden mal einen Tag in die Schuhe eines Flüchtlings steigen und darin herumlaufen, wie es in einem literarischen Klassiker heißt.

Mittwoch, 5. August 2015

Kinderkram ist klasse

Ich hab mir einen Raptor gekauft. Als anatomisch korrektes Kuscheltier mit Federn. Adieu, Küchenszene, stelle ich sie mir flauschig vor, sind die Kerlchen aus Jurassic Park nicht mehr ganz so furchteinflößend.


Ach, wem mache ich was vor, der Filmausschnitt ist bis heute spannend! Als elfjähriger Saurierfan flehte ich meine Eltern an, mit mir ins Kino zu gehen (FSK 12). Sie gaben schließlich nach unter der Bedingung, dass mich beide beleiteten und ich keine Alpträume bekäme. Während sich meine Eltern links und rechts immer wieder hinter den Sitzen ihrer Vordermänner versteckten, knabberte ich Popcorn und amüsierte mich königlich.  - Oh, hej, wenn hier Kinder lesen, diese Links sind FSK 12, gell? Pfoten weg! - Mein Vater am nächten Tag beim Frühstück: "Ich hab heute Nacht von Dinosauriern geträumt..."

Mir ist aufgefallen, dass alles, was mich als Kind faszinierte, mir bis heute nachhängt. Da kann ich im Kino sitzen und bei Jurassic World alle Logikfehler ignorieren, solange ich für den T. Rex jubeln darf. Meine Kuscheltiersammlung wird von Jahr zu Jahr größer, ich nenne sie heute nur "Souvenirs":

Der Kiwi aus Neuseeland

Corporal Flapjack Junior von der Royal Canadian Mounted Police

Und natürlich "Prawa Reca", meine wortwörtliche und im übertragenen Sinne "rechte Hand" bei Wolfseminaren

Zwar bin ich nicht dem Youtube-Katzenvideo-Wahn verfallen (aufgewachsen in einer Hundefamilie, hatte ich mit neun einen genauen Plan gezeichnet, wo in unserem Haus eine Katze Platz hätte, samt Konfliktpotential - Hund, Wellensittiche - und einem Zeitplan, wie viel ich mich um sie kümmern könnte. Es hat meine Eltern nicht überzeugt.), aber ich liebe "Simon's Cat". 
Und warum auch nicht? Quasi meine ganze berufliche Karriere baut auf Kindheitsträumen auf, heute mehr denn je: Mit zwölf hatte ich meinen ersten "Presseausweis" von der Jugend- und Umweltzeitschrift "Klick", die Begeisterung fürs Schreiben und Recherchieren ist untrennbar mit meinem Interesse an Naturthemen verknüpft. Der Hund, mit dem ich die ersten sechs Jahre meines Lebens aufwuchs, der uns beschützte und im Winter unseren Schlitten zog, hieß "Wolf". Mit elf schickte ich meinen ersten "Roman" an einen Verlag und bekam eine liebevolle und ermutigende Absage, über deren Formulierung sich die Lektorin offensichtlich viele Gedanken gemacht hat. 
"Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt", schrieb einst Friedrich Schiller - und es ist das Rollenspiel  gewesen, das mir den Spaß am literarischen Schreiben und meine kreativen Ideen wiedergegeben hat. Welche Runden Angela Merkel wohl früher heimlich geleitet hat? Zumindest meint ein Professor der Psychologie, dass Politiker sicher gute Rollenspieler seien und dass sich die Menschen durch das Spiel so entwickelt haben, wie sie sind - ob das nun gut ist oder schlecht. Und nicht nur Haustiere spielen, wie in dem Interview erwähnt. 2006 im Yellowstone Nationalpark beobachtete unsere Gruppe, wie der Wolf 302M, Spitzname "Casanova", sich an einem Schneehang auf den Rücken warf, um ihn hinunterzurodeln. 

Leider war er da noch zu weit weg für ein Foto. Hier benimmt er sich wieder "erwachsen"


Nun, wenn Angela Merkel je Rollenspielerin war, wird sie es wahrscheinlich nicht verraten, weil es zu kindisch wirkt. Kindisch - ein echtes Schimpfwort. Zwar klingt es wahnsinnig tiefgründig, wenn man sagt, man wolle das "innere Kind" bewahren, aber wenn man sich dann entsprechend verhält, ist auch keiner zufrieden. Kinder sind nämlich egoistisch und laut und stören. Aber sie haben auch Ideen, grübeln sich nicht alles kaputt und wollen die Welt verändern.

Nun, mir hat es viel gebracht, mich wieder darauf zu besinnen, was ich als Kind vom Leben wollte. Es hat mich glücklicher gemacht. Damals sang ich schon "Ich wollte nie erwachsen sein", ohne auch nur eine Zeile richtig zu begreifen. Aber Kinder haben sowieso die tollsten Theorien über die Welt. Resi, die vierjährige Tochter einer befreundeten Familie, beruhigte jüngst meiner Schwester: "Du wirst noch jung. Wenn du eine alte Oma bist, musst auch wieder eine Windel anziehen, und deswegen bist du dann wieder ein Baby." Unschlagbare Logik!







Mittwoch, 8. Juli 2015

Rollenspiel - die schönste und nützlichste Realitätsflucht der Welt



Ich tauch mal wieder ab für ein verlängertes Wochenende. Werde für König Arthus' Kreuzzug Lebensmittel und Nachrichten transportieren, eine Kolonie auf einem Eisplaneten aufbauen, durchgeknallte Computer-Technik-Priester ausschalten, nach der Schlacht ein paar Luftschiff-Piraten wieder zusammenflicken, mir von den Stimmen in meinem Kopf nützliche Tipps geben lassen... Rollenspiel-Con steht an!

„Pen & Paper“, Stift und Papier, lässt sich am besten als „Improvisationstheater ohne Publikum“ beschreiben - und klingt damit nicht mehr ganz so verrückt (oder versaut) wie Rollenspiel. Jeder denkt sich einen Charakter mit Stärken und Schwächen aus, der in einer Welt mit festgeschriebenen Regeln ein vom Spielleiter ausgedachtes Abenteuer bestehen muss. Ob ihm das gelingt, entscheiden auch die Würfel, die für jede Herausforderung geworfen werden (manchmal werden auch Karten gelegt, was den Erzählfluss nicht so stört). Pen & Paper ist der Ursprung des Rollenspiels, aber zugleich seine unbekannteste Variante. LARPer (Live Action Role Play) mit Kostümen und Schaumstoffwaffen erregen mehr Aufsehen,Computerspiele wie „World of Warcraft“ sind kommerziell erfolgreicher. Viele Autorenkollegen von mir machen Foren-RPGs und schreiben gemeinsam online Geschichten weiter. Ich dokumentiere mit Freunden auch meine Runden, aber der Unterschied ist: Wir haben die Geschichten "erlebt" - in unseren Köpfen, während wir um den Tisch saßen, Chips knabberten und uns "in character" anschrien.

Mittlerweile ist Rollenspiel schon auf dem Kinderkanal angekommen: In der Sendeschluss-Endlosschleife lernt Bernd das Brot diese "Nerds" kennen - vielleicht sind sie jetzt tatsächlich endgültig cool geworden? George R. R. Martin zumindest hat ihren Sieg bei seiner Lesung in Hamburg verkündet, als er darüber sprach, wie er in seiner Kindheit gehänselt wurde:"Damals waren Comics etwas für Freaks. Heute haben wir gewonnen. Heute beherrschen wir die Welt."

Trotzdem mache ich mir nicht immer die Mühe, meinen Bekannten zu erklären, welchem Hobby genau ich da fröne. "Spielenachmittag" nimmt das ältere Semester einfach so hin und denkt an Karten oder Mensch-ärgere-dich-nicht. (Ganz davon abgesehen, dass viele Stunden bei einer Convention tatsächlich mit Tichu draufgehen. Achtung, macht süchtig!) Ich hab nicht immer Lust auf die schrägen Blicke, die mir nach der Erklärung zugeworfen werden. Ein Freund von mir wurde immer besorgter, je mehr ich erzählte, und glaubte mich jedes Mal korrigieren zu müssen:

"Dann habe ich mich also in den Kampf gegen die Aliens gestürzt..."
- "Du meinst, die Figur, die du darstellst, hat sich in den Kampf gestürzt."
Er hatte so Angst, ich könnte den Bezug zur Realität verlieren!

Bin ich in meinem Bekehrungsmodus, habe ich sofort alle Argumente parat, warum Pen & Paper das tollste Hobby der Welt ist: Es fördert die Kreativität, ich lerne, mich in andere Menschen hineinzuversetzen, ich verbringe Zeit mit realen Freunden - meist kochen wir gemeinsam, unterhalten uns "out of play" und unternehmen auch sonst dinge zusammen -, ich kann verschiedene Problemlösungsstrategien durchspielen, mich mal richtig austoben. Nicht umsonst wird Rollenspiel auch in der Therapie eingesetzt. Mein ältester Rollenspielcharakter bildet jetzt sogar die Basis für eine Romantrilogie, an der ich gerade schreibe.

Viele Rollenspieler, die ich kenne, haben mit der 1984 erstmals veröffentlichten Fantasy-Welt „Das Schwarze Auge“ angefangen. Rund 15.000 Regelwerke hat Ulisses Spiele, einer der großen deutschen Verlage in dem Bereich, seit 2007 davon verkauft. Ulisses rechnet mit 50.000 bis 100.000 Rollenspielern in Deutschland, aber wie viele es genau sind, weiß keiner: Da man sich genausogut einfach so hinsetzen und ohne Regeln drauflos spielen kann, wer will das ernsthaft erheben? Nach einer verlagseigenen Studie ist der typische Vertreter 33 Jahre alt, Akademiker, eher männlich und mag Fantasy. Bis auf "männlich" trifft das alles auf mich zu. Trotzdem bin ich ein bisschen untypisch, weil ich das Rollenspiel erst nach dem Studium für mich entdeckt und gleich mit vielen erfahrenen Spielern zum Teil recht anspruchsvolle Systeme gespielt habe. Die ganzen "Einsteigersysteme" habe ich nie kennengelernt und hatte auch nie eine pubertäre Phase, in der ich einfach nur jeden Abend ein Monster töten wollte. Mir kommt es auf gute Charakterentwicklung an, stimmungsvolle Szenen und interessante Gespräche.

Na ja, und wenn meine Löwin einen Zauberork mit einem Schlag ihres Samuraischwerts in der Mitte spaltet, bin ich auch ein bisschen stolz.

Mittwoch, 17. Juni 2015

Harry Rowohlts Tabak, vom Winde verweht

Als ich gestern gelesen habe, dass Harry Rowohlt gestorben ist, war ich traurig. Es scheint ein schlimmes Jahr zu sein, so viele Größen treten ab. Christopher Lee beispielsweise ist für mich nicht nur ein beeindruckender Schauspieler, sondern auch ein Mann mit einer beeindruckenden Biographie gewesen. Wer sonst kann seinen Regisseur Peter Jackson aus eigener Erfahrung aufklären, wie es klingt, wenn ein Mann von hinten erstochen wird?

Harry Rowohlts Tod macht mich deshalb betroffen, weil ich ihn mal persönlich kennengelernt habe. Wenn ich an ihn denke, denke ich gar nicht an Pu der Bär oder an den Penner aus der Lindenstraße. Ich denke an diese fünf Minuten nach der Lesung "Marx und Engels intim" mit Gregor Gysi, 2011 im Schloss Neuhardenberg. Für meinen Artikel wollte ich gern noch ein paar Stimmen der Künstler haben. Während Gysi von seinen Bodyguards nach Ende der Veranstaltung zielstrebig aus der Kirche gelotst wurde, stand Harry Rowohlt ganz allein am Seitenausgang der Kirche und rauchte eine selbstgedrehte Zigarette.

An das Interview erinnere ich mich gar nicht so, ich stellte die üblichen Fragen. Aber ich erinnere mich an die gemütliche Stimmung, der weite Blick, die untergehende Sonne auf der weißen Kirchenwand. "Ich finde es furchtbar, wenn überall Zigarettenkippen herumliegen, auch als Raucher", sagte Harry Rowohlt, als er am letzten Stummel angekommen war. "Ich zeige Ihnen mal einen Trick." Er rollte das letzte Ende der erloschenen Zigarette auf und ließ den Tabak wie ein Opfer an die Erde im Winde verwehen - er rauchte filterlos. Dann nahm er sein Feuerzeug zur Hand und ließ das Fitzelchen Papier geübt in Flammen aufgehen, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen. Nur ein leichter Geruch von Ruß blieb zurück und Harry Rowohlt lächelte in seinen Bart über mein Staunen. "Sehen Sie, da bleibt keine Spur."

Das war ein schöner und sehr persönlicher Moment, wie man ihn als Journalist mit einem "Promi" selten erlebt. Und eins ist sicher: Ansonsten hat Harry Rowohlt in seinem Leben viele Spuren hinterlassen.

Donnerstag, 21. Mai 2015

Bloggen oder nicht bloggen: Über Verantwortung und falschen Druck

Fast ein Monat seit meinem letzten Blogeintrag - der ausgerechnet darum ging, sich als Schreiberling in den Hintern zu treten und was geschafft zu kriegen. Süße Ironie - oder bittere? Als ich im April 2014 mit diesem Blog gestartet bin, hatte ich mir vorgenommen, jede Woche was zu posten und hab das immerhin grandiose zwei Monate durchgehalten. Es ist nicht mal so, dass mir keine Themen einfallen, aber weil ich den Anspruch habe, mehr zu schreiben als "Ich bin noch da und heute ist schönes Wetter", muss ich ein bisschen Gehirnschmalz und Kreativität in meine Texte stecken. Und je besser es mit meiner Selbständigkeit läuft (Kurze Werbeeinblendung: Journalismus, Lektorat und Umweltpädagogik), desto mehr muss ich diese beiden wertvollen Ressourcen unter meinen Tagesaufgaben aufteilen.

Also ist das nur eine etwas ausführlichere Art, um zu sagen: Keine Ahnung, was ich heute schreiben soll? Ups, erwischt! Aber je länger ich meinen Blog verwaist lasse, desto größer wird mein schlechtes Gewissen. Vor allem, wenn mein treuer Fan - meine Schwester - mich so ziemlich bei jedem Telefonat fragt, wann wieder was Neues kommt.

Es ist schön, seine Leser persönlich zu kennen. Das ist das, was ich auch am Lokaljournalismus mag: Zwar besteht die Gefahr, dass du als jemand, der in der Stadt lebt, über die er schreibt, voreingenommen ist. Andererseits schadet es garantiert nicht dem journalistischen Verantwortungsgefühl, wenn man am nächsten Tag dem Menschen auf der Straße begegnet, den man gerade verrissen hat. Und am Tag darauf und am Tag darauf.

Durch die Verknüpfung über Social Media wird plötzlich die ganze Welt zum berüchtigten Dorf, und manchmal mache ich mir Gedanken um den Druck, der dadurch entsteht - auch bei mir. Ich freue mich über Freundschaftsanfragen bei Facebook und finde Vernetzung wichtig. Außerdem habe ich so schon viele tolle Leute kennengelernt, wie zum Beispiel meine Lektoratspartnerin "Textehexe". Aber manchmal muss ich mich daran erinnern, wessen Meinung mir eigentlich wichtig sein sollte: die der Menschen, die mit mir durchs Leben gehen, bei denen ich zu spontanen Aufheiterungs-Pfannkuchen (für die Brandenburger: Eierkuchen) vorbeikommen und die ich noch nachts um halb zwei anrufen kann, wenn es mir schlecht geht. Und weniger die der "Community" mit ihren undurchdringlichen Motiven. Aber solange ich selbst eine meiner geliebten Schreibnächte sausen lasse, um lieber spontan mit einer Freundin an die Ostsee zu fahren, bin ich wohl noch nicht internetsüchtig.


Ich gehöre noch zur Generation, die nicht mit dem Internet aufgewachsen ist. Das erste Mal war ich mit ... 15 oder so online, im Internetcafé unserer Schule. Eine Freundin wollte mir zeigen, wie lustig es ist, in Chatrooms Leute zu veralbern. Wir gaben uns also als heiße Schnecken im kleinen Schwarzen aus, flirteten mit einem Kerl und lachten sehr viel, bis der plötzlich schrieb: "Ja, schon klar, Andi. Wir sehen uns gleich im Unterricht." Von der anderen Seite des Raums grinste uns eine dritte Freundin an - die uns gerade ganz schön hochgenommen hatte. Das hat sich bei mir sehr eingeprägt: Niemand stellt online den dar, der er wirklich ist.

Einmal bin ich in einem Forum wegen meiner "Reality first" und "Ich kenn euch doch nicht wirklich"-Einstellung angefeindet worden. Nochmal: Sicher kann man online wundervolle Freunde finden. Aber ich denke, an irgendeinem Punkt ist es doch schön, wenn man den Schritt weitergeht und Leute dann persönlich kennenlernt. (Aber bitte vorsichtig. Ladet NICHT wildfremde Männer zu euch nach Hause ein, wenn eure Eltern nicht da sind, wie ... Bitte nicht!) Mittlerweile gab es schon ein Schreibnacht-Treffen in Berlin und wir wollen das demnächst mit einem Picknick fortsetzen. Da freue ich mich schon sehr drauf.

P.S. Eine Meinung, die mir auch wichtig ist, obwohl ich die Person nur vom Telefon und aus Emails kenne, ist die meiner Lektoratskunden. Gerade gestern hat die Autorin meines aktuellen Auftrags einen ganz süßen Blogeintrag geschrieben über ihre persönliche Erfahrung mit dem ersten Abschnitt meiner Anmerkungen. Es ist wunderbar, in die Haut des anderen zu schlüpfen und seine Sicht auf die eigene Arbeit zu erleben. Das stärkt auch das Verantwortungsgefühl: Das ist ein Mensch, der mir sein "Baby" anvertraut. Entsprechend liebevoll, wenn auch streng, muss ich das Manuskript behandeln.

Donnerstag, 23. April 2015

Schreibnacht - der richtige Tritt in den Hintern für Autoren

Ja, ich weiß, nach meinem letzten Beitrag erwarten regelmäßige Leser meines Blogs (nebenbei: danke und schön, dass ihr wieder reinschaut!), dass ich mein Versprechen einlöse und über die Veranstaltung im Nationalpark berichte, wie sich Landwirte/Schaf-/Alpaka-/Pferde-/Rinderzüchter gegen Wölfe schützen können. Aber keine Angst, das Thema Wolf wird uns noch lange beschäftigen. Ich bin momentan nämlich voll im Schreibfieber, und "Schuld" daran ist die #Schreibnacht. Wie ich dieses Thema für meinen Blog-Titel "Grenzverkehr" zurechtbiege? Nun, Grenzen überschreite ich bei der Schreibnacht auf jeden Fall, wenn auch eher der inneren Art: meine Leistungsgrenze oder die Grenze, die der innere Schweinehund mir setzt. Ja, das ist etwas weit hergeholt, aber verklagt mich doch! Über schöne Sachen kann man auch mal Schönes schreiben.

Der Feind: der Schweinehund!

Natürlich entdecke ich alles wieder zu spät: Passend zur 19. Schreibnacht bin ich eingestiegen, habe am Freitag das Jubiläum zum 20. mitgemacht und gestern Abend dann den kleinen Ableger, den "Schreibabend", der sich nur darin unterscheidet, dass er früher anfängt, früher endet und keinen Stargast hat. Jennifer Jäger hat sich das Ganze ausgedacht und ist dafür jetzt sogar schon in der Süddeutschen portraitiert worden: Weil sie in der Schule für ihr Hobby Bücherschreiben ausgelacht wurde (wat sind das für Leute?), hat sie sich Verbündete online gesucht. Jeder sitzt an seinem Rechner, arbeitet an seinem persönlichen Projekt, aber im Forum, auf Facebook und bei Twitter (Platz 5 Freitagnacht - deutschlandweit!) stacheln sie sich gegenseitig an: Wie viele Wörter schafft ihr in der Stunde? Habt ihr euer Ziel erreicht? Man kann an den lustigen Spielchen teilnehmen - "Baue die Zahl 20 (wegen Jubiläum) in deinen Text ein!" -, den Special Guest des Abends (Autor, Verleger, Lektor) mit Fragen löchern oder sich vom Chat so ablenken lassen, dass man auf einmal gar nicht mehr arbeitet.

Ich bin überhaupt keine Nachteule. Ich bin zwar auch kein Frühaufsteher, aber meine größte Leistungsfähigkeit entspricht in der Regel der wissenschaftlich errechneten Kurve: Wenn ich vormittags konzentriert dransitze, schaffe ich am Tag am meisten, abends ist irgendwann Schicht im Schacht, und um zwei Uhr morgens, wenn in der Politik oft die wichtigsten Entscheidungen fallen, liege ich gerne im Bett. Da kommen mir vielleicht die besten kreativen Ideen (und dann ist immer die Frage: Aufstehen und notieren oder sich drauf verlassen, dass man es morgens noch weiß?), aber systematisches Arbeiten? Nee.

An meine erste Schreibnacht bin ich also mit der Einstellung drangegangen, dass ich eh nicht lange durchhalten werde. Eine Kanne Schwarztee, Schokolade - alles schön und gut, aber ich kenn mich doch. Das Ergebnis: Um halb vier Uhr morgens war ich eine der letzten, die aufhörten, und lag danach noch eine Stunde wach, zu sehr mit Adrenalin vollgepumpt, als dass ich hätte schlafen können. Gut, ich schob es auf das Thema - der Protagonist eines Romanprojekts musste seinen ersten Kampf auf Leben und Tod bestreiten. Am Freitag - und gestern Abend - arbeitete ich an einem Sachbuch, einer Anekdotensammlung über Schwedt zwischen 1945 und 1990, die im September zum Jubiläum erscheinen soll. Notizen, historische Daten, durchaus lustig, aber nichts, was einen mit sich reißt. Und es passierte wieder: Ich schrieb wie im Fieber und kam richtig gut voran.

Was passiert da? Brauche ich wirklich den Wettbewerb, um mich zu Höchstleistungen anzustacheln? Ich denke, es hat mehr mit Motivation als mit Konkurrenz zu tun. Wenn sie von Jungautoren um Tipps gebeten werden, sagen viele berühmte Schriftsteller vor allem eins: Schreib! Bring die Ideen aufs Papier, die dir im Kopf rumspuken! Hab keine Angst vor dem leeren Papier/Bildschirm: "Sit your ass down and write!" Seit ich selbständig bin, muss ich mich allein motivieren, und das ist nicht immer leicht, so sehr ich meine Arbeit auch liebe. Gleichzeitig bin ich sehr skeptisch und möchte nicht zu viel von meinen Ideen in die Welt hinausblasen aus Angst, dass mir einer die Idee stiehlt (wie mal eine Zeitschrift, von der ich dachte, dass gerade sie junge JournalistINNEN unterstützen würde, zwar meinen Artikel nicht annahm, aber ein paar Fakten daraus für einen eigenen klaute).

Aber das Schönste an der Schreibnacht ist: Es gibt keine Trolle. Das findet man online wirklich selten, dort, wo sich (scheinbar) anonym jeder auskotzen kann. Ich will auch nicht mehr Kontrolle, aber das heißt nicht, dass ich Lust habe, mich auch noch in meiner Freizeit von Wildfremden bloßstellen und runterziehen zu lassen. Aber in der Schreibnacht-Gruppe sind mir bislang tatsächlich nur hilfsbereite und freundliche Menschen begegnet, die sich gegenseitig Mut machen, das gemeinsame Hobby - oder sogar den gemeinsamen Beruf - zu meistern.

Deshalb hab ich mich auch an der schönen Videoaktion beteiligt, um der Schreibnacht danke zu sagen. Einen Zusammenschnitt wird das Team noch online stellen. Allerdings hab ich jetzt auch ein bisschen Angst: Je berühmter die Schreibnacht wird, desto größer die Gefahr, dass sich doch ein paar Trolle einschleichen.Aber ich denke, wenn wir sie nicht füttern und die Stimmung weiter so konstruktiv bleibt, werden sie sich nicht wohl fühlen und wieder gehen.




Sonntag, 12. April 2015

Wolfsangst 2: Was tun, wenn ein Wolf vor mir steht?

Ich habe von Wölfen geträumt. Ich stand auf einem Hügel und schaute auf eine grasbewachsene Ebene hinunter, als auf einmal ein Rudel von hinten an mich herankam, mich umringte. Die Tiere pressten ihre Nasen an meine Hände. Ich stand ganz still und aufrecht, aus Angst, sie zu verscheuchen. Dann wachte ich auf, mit einem Gefühl großer Glückseligkeit. Hinterher habe ich mich sehr darüber amüsiert, dass ein Traum, der für viele andere der absolute Alptraum wäre, bei mir genau die gegenteiligen Gefühle auslöst.



Als ich im August 2010 im Wolfcenter Dörverden mithalf, mich eine Woche lang um sechs 15 Woche alten Wolfswelpen zu kümmern, amüsierte sich meine Mit-Praktikantin köstlich über mein "Fanverhalten". Sie selbst ist studierte Biologin und sieht die Tiere etwas nüchterner. Aber für mich ging ein Traum in Erfüllung. Meine Erlebnisse habe ich unter dem Titel "Tagebuch einer Wolfsnanny" in der Ausgabe 1/2011 des Wolf Magazins zusammengefasst. Wenn ich deshalb solche Geschichten lese wie aus Niedersachsen, wo eine Frau mit ihrem Golden Retriever von mehreren Wölfen aus dem Wald "hinausbegleitet" wurde, spüre ich zuallererst: Neid. Das klingt für manche absurd, ist aber so. Das heißt nicht, dass ich die Angst der Menschen nicht ernst nehme. Ich habe schreckliche Angst vor Spinnen und man kann mir tausendmal sagen, dass sie nichts tun: Ich bekomme Herzrasen und Schweißausbrüche, wenn ich diese Viecher sehe - selbst wenn sie Wolfsspinne heißen.

Und Wölfe sind sicher mit mehr Vorsicht zu genießen. Wie jedes Tier, besonders jedes Wildtier. Wie jeder fremde Hund und jedes Wildschwein. Wenn ich ein Wolfseminar gebe und die einen Kinder am Ende sagen: "Die sind ja gar nicht so böse" und die anderen: "Es sind ja doch keine Kuscheltiere" - dann habe ich mein Ziel erreicht. Deshalb finde ich es etwas unverschämt, wenn manche Zeitungen "den Naturschützern" pauschal unterstellen, den Wolf zu verharmlosen. Es gab tatsächlich mal eine Tendenz zu behaupten: Es gab keinen Fall, in dem ein gesunder Wolf einen Menschen angegriffen hätte. Aber diese Behauptung habe ich seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gehört. Stattdessen setzen sich echte Fachleute ganz offen mit dem Thema auseinander, wie zum Beispiel Elli Radinger in der (mittlerweile überarbeiteten Auflage von) "Wolfsangriffe - Fakt oder Fiktion".

 Odin sucht Schutz zwischen meinen Beinen vor den wilden Geschwistern -
mich zu zwicken ist für die Welpen tabu.

Klar ist: Der Wolf als Symbol für Wildnis ist genauso ein Klischee wie der böse Wolf von Rotkäppchen. Der Wolf ist eines der anpassungsfähigsten Tiere der Welt. In Rom leben die "Spaghettiwölfe" auf Müllkippen, in Rumänien ist vor einigen Jahren Wolfsmutter Timisch regelmäßig auf Nahrungssuche durch die Stadt gelaufen, vorbei an der Bushaltestelle, wo Pendler schon auf dem Weg zur Arbeit warteten. Aber: Das heißt noch lange nicht, dass sie sofort den nächsten Menschen angreifen wird.

Die "Welt" zeigt zu ihrem oben genannten Artikel ein Foto des Wolfs im Wohngebiet von Wildeshausen, das per Bildbearbeitung so weit aufgehellt wurde, dass es nach hellichstem Tag aussieht. Die gleiche Aufnahme in anderen Medien zeigt, dass es dämmerig war. Das Bild ist aus einem Auto aufgenommen, etwas, das einem Wolf weniger Scheu einflößt, weil er es nicht unmittelbar mit "Mensch" verbindet. Die Welt verwendet Zahlen, die nicht ganz zu ihrer Panikmache passen wollen: Neun Fälle in ganz Europa in einem halben Jahrhundert, bei denen ein Mensch durch einen Wolf zu Schaden kam. Da ist natürlich jeder einzelne Fall traurig und zu viel - aber die Statistik steht in keinem Verhältnis zu den Schauermärchen und zu der "gefühlten" Gefahr durch den Wolf. 2013 sind laut Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes 18 Menschen an Bienenstichen gestorben, vier wurden vom Blitz erschlagen, zwei von Hunden totgebissen. 300 sollen jährlich nach Schätzungen an Kugelschreiberminen ersticken! Natürlich gibt es weniger Wölfe als Bienen, aber auch in den USA, wo der Wolf in den drei Staaten Minnesota, Wyoming und Montana von der Liste der bedrohten Arten gestrichen ist, schafft er es (anders als der Bison) auf keinerlei Sterbestatistik.

Auch mit ihren Milchzähnchen kriegen die Welpen schon eine Rinderschulter klein

Und nein, auch nicht im Winter wird es gefährlich: Gerade bei viel Schnee hat der Wolf mit seinen großen Pfoten einen großen Vorteil gegenüber Reh und Hirsch, die viel tiefer in der weißen Pracht einsinken. Gerade im Winter haben Wölfe meist genug zu fressen. Die einzelnen Wölfe, denen man jetzt vielleicht begegnen kann, sind Jungtiere auf der Suche nach einem eigenen Revier, die auch mal neugierig um Menschen herumschnüffeln, wenn ihnen keiner Respekt beibringt.

Gerade habe ich ein Interview im Fernsehen mit dem Jäger gesehen, der von einem Wolf "angegriffen" wurde "kurz nach Mitternacht!", wie die Bild dramatisch betont. Schon als ich die erste Aussage las, dachte ich mir: "Angriff" sieht für mich noch anders aus - mit gefletschten Zähnen anspringen oder so. Der Jäger sagte selbst, dass er nicht genau wisse, was das war. Er schoss in den Boden und verjagte das Tier, das auf Schreien nicht reagierte. Das ist etwas beunruhigend und man sollte dringend Verschreckungsmaßnahmen ergreifen wie Beschießen mit Gummigeschossen oder ähnliches. Aber es ist und bleibt trotzdem ein Einzelfall.


2003 hatte ich das Vergnügen, den leider im vergangenen Jahr verstorbenen Werner Freund kennenzulernen. Der "Wolf unter Wölfen" erzählte mir, dass er in seiner jahrzehntelangen Arbeit mit den Tieren zwei brenzliche Situationen hatte, die er beide selbst ausgelöst hatte. Einmal "markierte" er gedankenlos im Revier einen Baum, ein anderes Mal hatte er die Jacke des falschen Wolfsrudels (er hatte mehrere Arten aufgezogen) an beim Betreten des Geheges. Der Leitwolf stürmte auf ihn zu und Freund trat ihm mit voller Wucht vor die Schnauze. Dann verließ er das Gehege, wusch sich, zog die richtige Jacke an - und das Rudel begrüßte ihn so freudig wie eh und je.

Finde den Fehler: Das große Tier ist kein Wolf, sondern ein tschechischer Wolfshund, 
der den Wolfswelpen Manieren beibringen soll. So leicht sind Hunde und Wölfe zu verwechseln.

Also soll man einen Wolf vor die Schnauze treten, wenn man ihm begegnet? Nun, so nah werden Sie ihm wahrscheinlich selten kommen. Aber nehmen wir mal an, Sie leben in Niedersachsen, gehen morgens zur Bushaltestelle und da steht ein Wolf.

1. Sie gehören nicht ins Beuteschema. Wölfe jagen Vierbeiner, die sich nicht so selbstsicher bewegen, als gehöre die Welt ihnen. Der Wolf hat tendenziell eher vor Ihnen Angst als umgekehrt.
2. Stehen Sie also aufrecht und ruhig. Rennen Sie auf keinen Fall weg!
3. Kramen Sie nicht in der Tasche rum, das könnte dem Wolf den Eindruck vermitteln, Sie wollten ihn füttern - wie es vielleicht dumme Menschen schon mal getan haben.
4. Schauen Sie dem Wolf nicht herausfordernd in die Augen, sondern über seine Schulter hinweg. Sie können ihn ruhig ansprechen und ihn sagen, dass er sich verdrücken soll, aber auch rufen und in die Hände klatschen, wenn Sie mögen.
5. Wenn Sie den Rückzug antreten, dann langsam. Aber in den allermeisten Fällen wird er es tun.

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Aber wo gibt es die schon?

Eigentlich wollte ich noch etwas zum Thema Wölfe und Nutztiere erzählen nach den neusten Erkenntnissen von einer Infoveranstaltung für uckermärkische Landwirte, die ich besucht habe. Aber der Blog ist schon lang genug, das hebe ich mir für einen anderen Beitrag auf. Ich jedenfalls träume weiter davon, auch in Deutschland einen wilden Wolf zu treffen. Vielleicht mach ich Urlaub in Niedersachsen, wenn die Brandenburger weiter so scheu bleiben.


P.S. vom 15. April: Spannend, dass es zwei so gegensätzliche Meinungen geben kann. Nachdem ich mit einigen Wolfsfachleuten gesprochen habe, die ich kenne, tendiere ich aber doch zu einer Seite: Starrt man dem Wolf jetzt in die Augen oder nicht? Das "nicht in die Augen starren", das ich oben geschrieben habe (und das mir auch vom Landesumweltamt bestätigt wurde), gehört zu den Erkenntnissen aus der Gehegehaltung. Aber das gilt auch für den "Alphawolf" und in freier Natur gelten ganz andere Regeln. Wenn man dem Wolf direkt in die Augen starrt, sagen Elli Radinger und Robert Franck (der Mann, der aktuell in Brandenburg die gerissenen Schafe darauf untersucht, ob's der Wolf war), dann signalisiert man ihm, dass man ihn im Griff hat, dass man keine Unterwürfigkeit zeigt, dass man genauso ein Raubtier ist wie er und er sich besser verdrücken soll. Leuchtet mir ein. Man lernt halt nie aus.