Donnerstag, 23. April 2015

Schreibnacht - der richtige Tritt in den Hintern für Autoren

Ja, ich weiß, nach meinem letzten Beitrag erwarten regelmäßige Leser meines Blogs (nebenbei: danke und schön, dass ihr wieder reinschaut!), dass ich mein Versprechen einlöse und über die Veranstaltung im Nationalpark berichte, wie sich Landwirte/Schaf-/Alpaka-/Pferde-/Rinderzüchter gegen Wölfe schützen können. Aber keine Angst, das Thema Wolf wird uns noch lange beschäftigen. Ich bin momentan nämlich voll im Schreibfieber, und "Schuld" daran ist die #Schreibnacht. Wie ich dieses Thema für meinen Blog-Titel "Grenzverkehr" zurechtbiege? Nun, Grenzen überschreite ich bei der Schreibnacht auf jeden Fall, wenn auch eher der inneren Art: meine Leistungsgrenze oder die Grenze, die der innere Schweinehund mir setzt. Ja, das ist etwas weit hergeholt, aber verklagt mich doch! Über schöne Sachen kann man auch mal Schönes schreiben.

Der Feind: der Schweinehund!

Natürlich entdecke ich alles wieder zu spät: Passend zur 19. Schreibnacht bin ich eingestiegen, habe am Freitag das Jubiläum zum 20. mitgemacht und gestern Abend dann den kleinen Ableger, den "Schreibabend", der sich nur darin unterscheidet, dass er früher anfängt, früher endet und keinen Stargast hat. Jennifer Jäger hat sich das Ganze ausgedacht und ist dafür jetzt sogar schon in der Süddeutschen portraitiert worden: Weil sie in der Schule für ihr Hobby Bücherschreiben ausgelacht wurde (wat sind das für Leute?), hat sie sich Verbündete online gesucht. Jeder sitzt an seinem Rechner, arbeitet an seinem persönlichen Projekt, aber im Forum, auf Facebook und bei Twitter (Platz 5 Freitagnacht - deutschlandweit!) stacheln sie sich gegenseitig an: Wie viele Wörter schafft ihr in der Stunde? Habt ihr euer Ziel erreicht? Man kann an den lustigen Spielchen teilnehmen - "Baue die Zahl 20 (wegen Jubiläum) in deinen Text ein!" -, den Special Guest des Abends (Autor, Verleger, Lektor) mit Fragen löchern oder sich vom Chat so ablenken lassen, dass man auf einmal gar nicht mehr arbeitet.

Ich bin überhaupt keine Nachteule. Ich bin zwar auch kein Frühaufsteher, aber meine größte Leistungsfähigkeit entspricht in der Regel der wissenschaftlich errechneten Kurve: Wenn ich vormittags konzentriert dransitze, schaffe ich am Tag am meisten, abends ist irgendwann Schicht im Schacht, und um zwei Uhr morgens, wenn in der Politik oft die wichtigsten Entscheidungen fallen, liege ich gerne im Bett. Da kommen mir vielleicht die besten kreativen Ideen (und dann ist immer die Frage: Aufstehen und notieren oder sich drauf verlassen, dass man es morgens noch weiß?), aber systematisches Arbeiten? Nee.

An meine erste Schreibnacht bin ich also mit der Einstellung drangegangen, dass ich eh nicht lange durchhalten werde. Eine Kanne Schwarztee, Schokolade - alles schön und gut, aber ich kenn mich doch. Das Ergebnis: Um halb vier Uhr morgens war ich eine der letzten, die aufhörten, und lag danach noch eine Stunde wach, zu sehr mit Adrenalin vollgepumpt, als dass ich hätte schlafen können. Gut, ich schob es auf das Thema - der Protagonist eines Romanprojekts musste seinen ersten Kampf auf Leben und Tod bestreiten. Am Freitag - und gestern Abend - arbeitete ich an einem Sachbuch, einer Anekdotensammlung über Schwedt zwischen 1945 und 1990, die im September zum Jubiläum erscheinen soll. Notizen, historische Daten, durchaus lustig, aber nichts, was einen mit sich reißt. Und es passierte wieder: Ich schrieb wie im Fieber und kam richtig gut voran.

Was passiert da? Brauche ich wirklich den Wettbewerb, um mich zu Höchstleistungen anzustacheln? Ich denke, es hat mehr mit Motivation als mit Konkurrenz zu tun. Wenn sie von Jungautoren um Tipps gebeten werden, sagen viele berühmte Schriftsteller vor allem eins: Schreib! Bring die Ideen aufs Papier, die dir im Kopf rumspuken! Hab keine Angst vor dem leeren Papier/Bildschirm: "Sit your ass down and write!" Seit ich selbständig bin, muss ich mich allein motivieren, und das ist nicht immer leicht, so sehr ich meine Arbeit auch liebe. Gleichzeitig bin ich sehr skeptisch und möchte nicht zu viel von meinen Ideen in die Welt hinausblasen aus Angst, dass mir einer die Idee stiehlt (wie mal eine Zeitschrift, von der ich dachte, dass gerade sie junge JournalistINNEN unterstützen würde, zwar meinen Artikel nicht annahm, aber ein paar Fakten daraus für einen eigenen klaute).

Aber das Schönste an der Schreibnacht ist: Es gibt keine Trolle. Das findet man online wirklich selten, dort, wo sich (scheinbar) anonym jeder auskotzen kann. Ich will auch nicht mehr Kontrolle, aber das heißt nicht, dass ich Lust habe, mich auch noch in meiner Freizeit von Wildfremden bloßstellen und runterziehen zu lassen. Aber in der Schreibnacht-Gruppe sind mir bislang tatsächlich nur hilfsbereite und freundliche Menschen begegnet, die sich gegenseitig Mut machen, das gemeinsame Hobby - oder sogar den gemeinsamen Beruf - zu meistern.

Deshalb hab ich mich auch an der schönen Videoaktion beteiligt, um der Schreibnacht danke zu sagen. Einen Zusammenschnitt wird das Team noch online stellen. Allerdings hab ich jetzt auch ein bisschen Angst: Je berühmter die Schreibnacht wird, desto größer die Gefahr, dass sich doch ein paar Trolle einschleichen.Aber ich denke, wenn wir sie nicht füttern und die Stimmung weiter so konstruktiv bleibt, werden sie sich nicht wohl fühlen und wieder gehen.




Sonntag, 12. April 2015

Wolfsangst 2: Was tun, wenn ein Wolf vor mir steht?

Ich habe von Wölfen geträumt. Ich stand auf einem Hügel und schaute auf eine grasbewachsene Ebene hinunter, als auf einmal ein Rudel von hinten an mich herankam, mich umringte. Die Tiere pressten ihre Nasen an meine Hände. Ich stand ganz still und aufrecht, aus Angst, sie zu verscheuchen. Dann wachte ich auf, mit einem Gefühl großer Glückseligkeit. Hinterher habe ich mich sehr darüber amüsiert, dass ein Traum, der für viele andere der absolute Alptraum wäre, bei mir genau die gegenteiligen Gefühle auslöst.



Als ich im August 2010 im Wolfcenter Dörverden mithalf, mich eine Woche lang um sechs 15 Woche alten Wolfswelpen zu kümmern, amüsierte sich meine Mit-Praktikantin köstlich über mein "Fanverhalten". Sie selbst ist studierte Biologin und sieht die Tiere etwas nüchterner. Aber für mich ging ein Traum in Erfüllung. Meine Erlebnisse habe ich unter dem Titel "Tagebuch einer Wolfsnanny" in der Ausgabe 1/2011 des Wolf Magazins zusammengefasst. Wenn ich deshalb solche Geschichten lese wie aus Niedersachsen, wo eine Frau mit ihrem Golden Retriever von mehreren Wölfen aus dem Wald "hinausbegleitet" wurde, spüre ich zuallererst: Neid. Das klingt für manche absurd, ist aber so. Das heißt nicht, dass ich die Angst der Menschen nicht ernst nehme. Ich habe schreckliche Angst vor Spinnen und man kann mir tausendmal sagen, dass sie nichts tun: Ich bekomme Herzrasen und Schweißausbrüche, wenn ich diese Viecher sehe - selbst wenn sie Wolfsspinne heißen.

Und Wölfe sind sicher mit mehr Vorsicht zu genießen. Wie jedes Tier, besonders jedes Wildtier. Wie jeder fremde Hund und jedes Wildschwein. Wenn ich ein Wolfseminar gebe und die einen Kinder am Ende sagen: "Die sind ja gar nicht so böse" und die anderen: "Es sind ja doch keine Kuscheltiere" - dann habe ich mein Ziel erreicht. Deshalb finde ich es etwas unverschämt, wenn manche Zeitungen "den Naturschützern" pauschal unterstellen, den Wolf zu verharmlosen. Es gab tatsächlich mal eine Tendenz zu behaupten: Es gab keinen Fall, in dem ein gesunder Wolf einen Menschen angegriffen hätte. Aber diese Behauptung habe ich seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gehört. Stattdessen setzen sich echte Fachleute ganz offen mit dem Thema auseinander, wie zum Beispiel Elli Radinger in der (mittlerweile überarbeiteten Auflage von) "Wolfsangriffe - Fakt oder Fiktion".

 Odin sucht Schutz zwischen meinen Beinen vor den wilden Geschwistern -
mich zu zwicken ist für die Welpen tabu.

Klar ist: Der Wolf als Symbol für Wildnis ist genauso ein Klischee wie der böse Wolf von Rotkäppchen. Der Wolf ist eines der anpassungsfähigsten Tiere der Welt. In Rom leben die "Spaghettiwölfe" auf Müllkippen, in Rumänien ist vor einigen Jahren Wolfsmutter Timisch regelmäßig auf Nahrungssuche durch die Stadt gelaufen, vorbei an der Bushaltestelle, wo Pendler schon auf dem Weg zur Arbeit warteten. Aber: Das heißt noch lange nicht, dass sie sofort den nächsten Menschen angreifen wird.

Die "Welt" zeigt zu ihrem oben genannten Artikel ein Foto des Wolfs im Wohngebiet von Wildeshausen, das per Bildbearbeitung so weit aufgehellt wurde, dass es nach hellichstem Tag aussieht. Die gleiche Aufnahme in anderen Medien zeigt, dass es dämmerig war. Das Bild ist aus einem Auto aufgenommen, etwas, das einem Wolf weniger Scheu einflößt, weil er es nicht unmittelbar mit "Mensch" verbindet. Die Welt verwendet Zahlen, die nicht ganz zu ihrer Panikmache passen wollen: Neun Fälle in ganz Europa in einem halben Jahrhundert, bei denen ein Mensch durch einen Wolf zu Schaden kam. Da ist natürlich jeder einzelne Fall traurig und zu viel - aber die Statistik steht in keinem Verhältnis zu den Schauermärchen und zu der "gefühlten" Gefahr durch den Wolf. 2013 sind laut Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes 18 Menschen an Bienenstichen gestorben, vier wurden vom Blitz erschlagen, zwei von Hunden totgebissen. 300 sollen jährlich nach Schätzungen an Kugelschreiberminen ersticken! Natürlich gibt es weniger Wölfe als Bienen, aber auch in den USA, wo der Wolf in den drei Staaten Minnesota, Wyoming und Montana von der Liste der bedrohten Arten gestrichen ist, schafft er es (anders als der Bison) auf keinerlei Sterbestatistik.

Auch mit ihren Milchzähnchen kriegen die Welpen schon eine Rinderschulter klein

Und nein, auch nicht im Winter wird es gefährlich: Gerade bei viel Schnee hat der Wolf mit seinen großen Pfoten einen großen Vorteil gegenüber Reh und Hirsch, die viel tiefer in der weißen Pracht einsinken. Gerade im Winter haben Wölfe meist genug zu fressen. Die einzelnen Wölfe, denen man jetzt vielleicht begegnen kann, sind Jungtiere auf der Suche nach einem eigenen Revier, die auch mal neugierig um Menschen herumschnüffeln, wenn ihnen keiner Respekt beibringt.

Gerade habe ich ein Interview im Fernsehen mit dem Jäger gesehen, der von einem Wolf "angegriffen" wurde "kurz nach Mitternacht!", wie die Bild dramatisch betont. Schon als ich die erste Aussage las, dachte ich mir: "Angriff" sieht für mich noch anders aus - mit gefletschten Zähnen anspringen oder so. Der Jäger sagte selbst, dass er nicht genau wisse, was das war. Er schoss in den Boden und verjagte das Tier, das auf Schreien nicht reagierte. Das ist etwas beunruhigend und man sollte dringend Verschreckungsmaßnahmen ergreifen wie Beschießen mit Gummigeschossen oder ähnliches. Aber es ist und bleibt trotzdem ein Einzelfall.


2003 hatte ich das Vergnügen, den leider im vergangenen Jahr verstorbenen Werner Freund kennenzulernen. Der "Wolf unter Wölfen" erzählte mir, dass er in seiner jahrzehntelangen Arbeit mit den Tieren zwei brenzliche Situationen hatte, die er beide selbst ausgelöst hatte. Einmal "markierte" er gedankenlos im Revier einen Baum, ein anderes Mal hatte er die Jacke des falschen Wolfsrudels (er hatte mehrere Arten aufgezogen) an beim Betreten des Geheges. Der Leitwolf stürmte auf ihn zu und Freund trat ihm mit voller Wucht vor die Schnauze. Dann verließ er das Gehege, wusch sich, zog die richtige Jacke an - und das Rudel begrüßte ihn so freudig wie eh und je.

Finde den Fehler: Das große Tier ist kein Wolf, sondern ein tschechischer Wolfshund, 
der den Wolfswelpen Manieren beibringen soll. So leicht sind Hunde und Wölfe zu verwechseln.

Also soll man einen Wolf vor die Schnauze treten, wenn man ihm begegnet? Nun, so nah werden Sie ihm wahrscheinlich selten kommen. Aber nehmen wir mal an, Sie leben in Niedersachsen, gehen morgens zur Bushaltestelle und da steht ein Wolf.

1. Sie gehören nicht ins Beuteschema. Wölfe jagen Vierbeiner, die sich nicht so selbstsicher bewegen, als gehöre die Welt ihnen. Der Wolf hat tendenziell eher vor Ihnen Angst als umgekehrt.
2. Stehen Sie also aufrecht und ruhig. Rennen Sie auf keinen Fall weg!
3. Kramen Sie nicht in der Tasche rum, das könnte dem Wolf den Eindruck vermitteln, Sie wollten ihn füttern - wie es vielleicht dumme Menschen schon mal getan haben.
4. Schauen Sie dem Wolf nicht herausfordernd in die Augen, sondern über seine Schulter hinweg. Sie können ihn ruhig ansprechen und ihn sagen, dass er sich verdrücken soll, aber auch rufen und in die Hände klatschen, wenn Sie mögen.
5. Wenn Sie den Rückzug antreten, dann langsam. Aber in den allermeisten Fällen wird er es tun.

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Aber wo gibt es die schon?

Eigentlich wollte ich noch etwas zum Thema Wölfe und Nutztiere erzählen nach den neusten Erkenntnissen von einer Infoveranstaltung für uckermärkische Landwirte, die ich besucht habe. Aber der Blog ist schon lang genug, das hebe ich mir für einen anderen Beitrag auf. Ich jedenfalls träume weiter davon, auch in Deutschland einen wilden Wolf zu treffen. Vielleicht mach ich Urlaub in Niedersachsen, wenn die Brandenburger weiter so scheu bleiben.


P.S. vom 15. April: Spannend, dass es zwei so gegensätzliche Meinungen geben kann. Nachdem ich mit einigen Wolfsfachleuten gesprochen habe, die ich kenne, tendiere ich aber doch zu einer Seite: Starrt man dem Wolf jetzt in die Augen oder nicht? Das "nicht in die Augen starren", das ich oben geschrieben habe (und das mir auch vom Landesumweltamt bestätigt wurde), gehört zu den Erkenntnissen aus der Gehegehaltung. Aber das gilt auch für den "Alphawolf" und in freier Natur gelten ganz andere Regeln. Wenn man dem Wolf direkt in die Augen starrt, sagen Elli Radinger und Robert Franck (der Mann, der aktuell in Brandenburg die gerissenen Schafe darauf untersucht, ob's der Wolf war), dann signalisiert man ihm, dass man ihn im Griff hat, dass man keine Unterwürfigkeit zeigt, dass man genauso ein Raubtier ist wie er und er sich besser verdrücken soll. Leuchtet mir ein. Man lernt halt nie aus.