Montag, 30. Juni 2014

Puppenspieler

Es tut mir leid, aber statt eines normalen Blog-Eintrags gibt es diesmal Werbung. Aber ich bin gerade zu begeistert vom TheaterFigurenMuseum, das ich am Wochenende in Lübeck entdeckt hab. Ich habe so gut wie nie mit Puppen gespielt, sondern mit Kuscheltieren. Schleppte jemand eine Barbie an, mussten wir unsere Fantasie anstrengen um zu erklären, warum da gerade ein menschengroßer Igel vor der Haustür steht. Aber wir reden hier nicht einfach von Puppen, sondern von einer uralten Schauspielkunst, die Menschen seit Jahrhunderten in allen Kulturkreisen ausgeübt haben.

Heute sind viele herumreisende Puppentheater auf irgendwelche Supermarktparkplätze abgeschoben und ansonsten in den Kindergarten verbannt. Für mich gehören die Begegnung mit einem Bauchredner und seinem sprechenden Pfern und eine Marionetten-Gruselgeschichte zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Ich kann heute noch den Grenzsteinversetzer, der nach seinem Tod als Geist herumwandern musste, stöhnen hören: "O Not, o Pein, wohin mit dem Stein?" Von der Augsburger Puppenkiste mal gar nicht zu reden! Als meine Freundin aus Frankfurt Oder sagte, sie kennt Jim Knopf und Lukas nicht, ist mir zum ersten Mal richtig bewusst geworden, dass wir wirklich in zwei verschiedenen Ländern aufgewachsen sind. Und ihr ging es genauso, weil ich mit Pittiplatsch nichts anzufangen wusste. Im Museumsshop in Lübeck gibt es übrigens beide. Vereintes Deutschland!

Fritz Fey, aus einer Puppenspielerfamilie stammend, hat auf Reisen durch Europa, Asien und Afrika alles gesammelt, was ihm an verschiedenen Theatertraditionen begegnet ist. 1000 Exponate, neben Figuren auch Kulissen, Zeitungsausschnitte, Werbeplakate und Kurzfilme, sind auf mehrere Stockwerke verteilt.

Aufgefallen ist mir das Haus in einer Seitenstraße nahe dem Holstentor eigentlich nur durch diesen beeindruckenden Baum hinter der riesenhohen Mauer. Dass in allen Fenstern Puppen sitzen, fiel mir erst beim Näherkommen auf. Und wer jetzt glaubt, mit dem Kasperle ist es getan, hat sich gründlich geirrt!
Und wenn etwas ins Wasser fallt, dann fress' ich's halt.

Die Sense ist gewetzt.
Aus dem Puppen-Trickfilm "Das Schloss"
Der Expressionismus beeinflusste nicht nur die Malerei.
Ich dachte, diese europäischen Vertreter des Schattenspiels seien detailreich geschnitten, bis ich zu den asiatischen kam:
Ist das eine Stimmung?
Stangen-Schlenkerfiguren gab es schon in der Antike. Die Figuren sind fast menschengroß. Auf Sizilien erzählten Puppenspieler bis ins 20. Jahrhundert hinein Geschichten über den Kampf der Paladine gegen die Sarazenen.

... wobei hier wohl mal der Sarazen gewonnen hat.
Aber auch Marionetten gibt es weit jenseits von Augsburg:
Schaut euch nur mal die beweglichen Augen des Kerls an!
Der Schauspieler in Nigeria trug die Maske, das Reden und Händefuchteln übernahm der kleine Mann auf seinem Kopf.

Ich hätte mir teilweise sogar noch mehr Hintergrundinformationen gewünscht, aber auch so bin ich stundenlang in diese fantastische Welt abgetaucht, die wieder mal zeigt, wie viel alle Menschen gemeinsam haben. Und am Ende konnte ich nicht widerstehen und hab mir eine Handpuppe gekauft. Auf der Heimfahrt hab ich schon mal ein bisschen die Fingerfertigkeit geübt beim Lenken und Schalten - böse, was auch sonst beim bösen Wolf!
Übrigens trägt sich das Museum gerade so selbst. Die Motten aus den alten Stücken rauszuhalten, ist nicht leicht. Also: Unterstützt es mit eurem Besuch, wenn ihr in der Nähe seid!






Freitag, 20. Juni 2014

Asyl mit Rollstuhl

Ein Asylbewerber springt aus dem Fenster, ein anderer arbeitet schwarz, der Dritte wird zusammengeschlagen - Deutsch können sie nach Jahren immer noch nicht. Solche Geschichten habe ich auf einer x-beliebigen Pakbank gehört, als ich mich nur mal getraut habe, mit der Gruppe dort ins Gespräch zu kommen.

Es gehört zu den traurigen Tatsachen, dass langandauernde humanitäre Katastrophen schnell von "aktuelleren" Konflikten aus den Medien vertrieben werden. Eine Tagesschau ist nur eine Viertelstunde lang, der überregionale Nachrichtenteil einer Zeitung umfasst nur soundsoviel Seiten - und solange keine Deutschen betroffen sind, gilt der Nachrichtenwert als gering. Eine Studie kommt schon 2007 zu dem Ergebnis, dass Nachrichten unpolitischer werden, amüsieren wollen und Service bieten - und Themen aus der sogenannten Dritten Welt am ehesten durch das Raster fallen.

Der Bürgerkrieg in Syrien beispielsweise ist von der Ukraine fast völlig verdrängt worden. Er kommt nur dann zur Sprache, wenn es um die konkreten Auswirkungen auf Deutschland geht: Die Angst, dass radikale Kämpfer, die nach Deutschland zurückkehren, hier Anschläge verüben könnten, und die Frage, wie viele Flüchtlinge man aufnehmen kann und will. Mit dem Slogan "Wir sind nicht das Sozialamt der Welt" sind die Rechten in den Europawahlkampf gezogen. Nur leicht abgewandelt war das auch auf den Plakaten der AfD zu lesen und wurde in der letzten heißen Phase sogar von der Kanzlerin angedeutet (da sie ja klare Worte meist scheut). Was hier auf andere EU-Mitglieder gemünzt war, zeigt aber schon durch die Wortwahl "Weltsozialamt", dass es sich gegen alle richtet: eine Mauer um Europa/Deutschland und Ruhe! An das Einzelschicksal denken sie nicht, wollen sie nicht denken. Wer sich, wie einer meiner Lieblings-Autoren Neil Gaiman, vor Ort in einem Flüchtlingslager umsieht, kann angesichts dieser egoistischen Abschottung nur brechen!

Nicht nur die Flüchtlingszahlen aus Syrien sind extrem gestiegen. 2013, schreibt Pro Asyl unter Berufung auf das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, sind 63.000 mehr Menschen aus dem Sudan nach Europa geflohen als im Jahr zuvor. Sudan? Was war da? Der Beginn des Dafur-Konflikts wird mit 2003 benannt, aber ich weiß von meinem Praktikum bei Zeit-Online aus 2004, dass das Morden schon sehr viel länger anhält. Ich kann nicht behaupten, alle Hintergründe begriffen zu haben. Ich möchte nur von meiner Begegnung mit Asylanten aus dem Sudan erzählen. Ich habe sie nicht in der Uckermark getroffen, aber in einer ländlichen Gegend. Das ist das einzige, was ich aus Personenschutz-Gründen dazu sage.

Die Männer auf der Bank wollen ein bisschen Deutsch üben. Ehe ich es mich versehe, sitze ich mittendrin, und im Laufe des Gesprächs wechseln wir ins Englische, weil die Themen zu kompliziert wurden, um sie in der weniger geübten Fremdsprache auszudrücken. Viele der Asylbewerber leben schon seit Jahren in einem deutschen Flüchtlingsheim. Doch solange ihr offizieller Status nicht geklärt ist, gibt es auch keinen Anspruch auf einen Integrationskurs. In Ostprignitz-Ruppin versucht eine Bürgerinitiative, diesem Missstand abzuhelfen, aber das gibt es eben leider nicht überall. Der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung ist auf dem Land oft schwierig, wo Menschen mit einer anderen Hautfarbe noch eine Seltenheit sind.

Umso mehr schütten die Männer mir nach und nach ihr Herz aus. Einer trägt seltsame Narben im Gesicht und erzählt mir, wie er eines Abends einer Gruppe Neonazis begegnete. Er drehte sich um, um davonzulaufen - "und das ist das letzte, woran ich mich erinnere". Er wachte erst drei Tage später im Krankenhaus auf. Trotzdem ist gerade er es, der "die Deutschen" gegenüber seinen Freunden verteidigt. Er ist dafür, die Menschen differenziert zu betrachten. Kaum weniger erschreckend ist die Geschichte des Manns im Rollstuhl. Einmal stand die Polizei im Asylbewerberheim vor seiner Tür, um eine Kontrolle zu machen. Weil im Sudan der Umgang mit "Gesetzeshütern" Folter und Tod bedeuten kann, sprang er in Panik aus dem Fenster - aus dem dritten Stock. Seither ist er querschnittsgelähmt. In Wladimir Kaminers "Russendisko"ging eine ähnliche Geschichte gut aus, weil ein Wahlplakat der Republikaner als rettender Halt diente. Als ich den Asylbewerber im Rollstuhl sehe, kann ich plötzlich nicht mehr so leicht darüber lachen. Ein dritter Sudan-Flüchtling gibt zu, schwarz zu arbeiten. Er hat eine deutsche Freundin und das Gefühl, dass selbst sie keinen Respekt vor ihm hat, weil er in einem Heim wohnt und auf Unterstützung angewiesen ist. "Was bin ich für ein Mann, wenn ich nicht mein eigenes Geld verdiene?", sagt er, das Gesicht voll verletztem Stolz und Trotz.

Ja, sobald man das Einzelschicksal kennt, wird es immer schwieriger, allgemeine Regeln aufzustellen. Wie das die Angestellten der zuständigen Behörden nur aushalten?

Mittwoch, 11. Juni 2014

Eis rund um die Welt



Uh, wie die Sonne scheint, uh, wie die Vögel zwitschern, jammern die Kinder aus Bullerbü. Von mir soll es kein böses Wort über die Sonne geben angesichts der Gewitter, die andere Regionen treffen. Im vergangenen Jahr sind im Altkreis Angermünde 72 Storchenkinder in ihren Nestern ertrunken oder erfroren. In diesem Jahr nisten allein acht Paare im künftigen Europäischen Storchendorf Criewen und staken abends über die abgemähten Heuwiesen, auf der Suche nach Mäusen. Die vom Bevölkerungsschwund geplagte Uckermark soll’s freuen, immerhin lässt sich ein statistischer Zusammenhang herstellen zwischen mehr Störchen und mehr Babys. 




Einen herrlichen Sommerstart hat auch der Eismann am Schwedter Bollwerk. Obwohl aus Meyenburg und erst seit gut zehn Jahren mit seinem Wagen vertreten, gilt er als Schwedter Original und ist sogar auf der großen Wandmalerei am Bühnenturm verewigt. Bei einem Workshop zum Thema Neugestaltung der Uferpromenade benannte die Mehrheit der Schwedter durch alle Altersklassen das Rondell am Eismann als ihren Lieblingsplatz.

Das heißt aber nicht, dass es nie etwas zu meckern gibt. Jüngst habe ich mitbekommen, wie ein Großvater seinem Enkel vorgerechnet hat: „70 Cent für eine Kugel, das sind 1,40 Mark und 2,80 DDR-Mark!“ Ja, es ist schon schlimm genug, sich an eine Währungsreform zu erinnern und an die schönen Preise, die man im Kopf bequemerweise auf dem Stand von 2002 einfrieren konnte. Der Mythos vom „Teuro“ hält sich so penetrant, dass ganze Parteien damit Sitze im EU-Parlament gewinnen - oder auch nicht.

2002 war ich in Neuseeland und musste der deutschen Reiseleiterin, die den Jahreswechsel auf der anderen Seite der Erdkugel verbracht hatte, erst mal die neuen Euro-Münzen zeigen. Damals hatte der Herr-der-Ringe-Boom das Land noch nicht überrollt. Der erste Teil der Trilogie war draußen, die ganze Reisegruppe las Tolkiens Bücher und eine Schokoriegel-Firma verloste den Einen Ring. Neuseeländer wie unser Guide Barry waren milde amüsiert über die Computer-veränderte Landschaft. Der Bauer, der seine Wiese zur Verfügung gestellt hatte, um das Shire zu bauen, hatte sie, wie im Vertrag vereinbart, wieder im Ursprungszustand zurück bekommen. Tatsache: Das Filmset, das man heute besuchen kann ist nicht das Original, sondern nach dem Erfolg der Filme noch einmal neu angelegt. 2002 bekam ich für 70 neuseeländische Cent (35 Euro-Cent) eine Eiswaffel komplett vollgestopft. Das ist heute, wo Jackson-Jünger durchs Land pilgern, auch nicht mehr so.

Au, akutes Fernweh! Und in Neuseeland wäre jetzt Winter...