Samstag, 15. August 2015

Heim nach Afghanistan

Meine Schwester saß jüngst im Zug nach Frankfurt, schräg gegenüber von einem Mann mit drei riesigen Koffern, der in einer ihr unbekannten Sprache in sein Handy redete. "Keine Ahnung, worum es ging, aber es klang wirklich schön", erzählte sie mir. Sein Deutsch war dagegen sehr gebrochen. Als sie sich dem Bahnhof Frankfurt Flughafen nährten, brauchte es drei Anläufe, bis Martina seine Frage verstand: Ob er jetzt hier aussteigen müsse. Ja, bestätigte ihm meine Schwester und half ihm mit den Koffern. Und der Mann erzählte strahlend, dass er heute nach Hause fliege, heim nach Afghanistan. Für Martina war das ein Aha-Erlebnis: Wir verbinden Afghanistan nur mit Krieg und Terror, aber für viele Menschen ist es eine Heimat und sie leben gerne dort. Sie schwärmen von der Landschaft, der Kultur und den Menschen. Dem Mann im Zug geht das Herz auf, wenn er daran denkt, endlich nach Hause zu kommen.

Ich habe vor ein paar Jahren die Fotografin Lela Ahmadzai kennengelernt. Sie lebt seit vielen Jahren in Deutschland, seit ihr Vater mit der Familie herzog, um gerade den Töchtern eine vernünftige Bildung zu ermöglichen. Lela beschäftigt sich sehr mit der Rolle der Frau in Afghanistan und hat beispielsweise sehr beeindruckende Beiträge über die Frauenfußballnationalmannschaft gemacht. Nach all den Jahren lässt ihre Heimat sie einfach nicht los.

Die dort stationierten Soldaten mögen es kaum abwarten können, endlich abziehen zu dürfen, doch wer Afghanistan seine Heimat nennt, wird es garantiert nur ungern verlassen wollen. Und das gilt genauso für die Tausenden von Flüchtlingen, um deren Unterbringung aktuell so hart gestritten wird. Sieht man sich die Weltkarte an, woher sie kommen, ist schnell klar: Das sind keine "Wirtschaftsflüchtlinge" in dem Sinne, dass sie sich mal eben ein Nest in einer Steueroase bauen wollen - das sind eher einige Deutsche, deren Lieblingsziel die Schweiz ist. Schließen wir zu schnell von uns selbst auf andere? Stellen sich manche tatsächlich vor, dass die Menschen in Syrien eines Morgens sagen: Ach, wie wäre es, wenn wir auswandern, in Deutschland können wir voll das Geld scheffeln? Das kann nur eine Generation glauben, die in den vergangenen 70 Jahren komplett vergessen hat, wie es war, ein Flüchtling zu sein. Es ist nicht wirklich so, dass es denen "alles in den Arsch geschoben" wird, wie ein Schwedter jüngst bei einer Einwohnerversammlung sagte. 143 Euro im Monat nennt er in den Arsch geschoben? Mag er mal darauf zurückgestuft werden? Oder schauen, ob er Lust hat, in einer Flüchtlingsunterkunft zu wohnen? Oh nein, das Geld scheffeln hier ganz andere!

Aber nicht die gehen durch die Hölle, das sind wieder mal die Flüchtlinge, die ohnehin schon so viele traumatische Erlebnisse hinter sich haben. Als der Postillon titelte: "Flüchtling froh, dass er Hass und Gewalt schon aus seinem Heimatland gewohnt ist", das war der Zeitpunkt, an dem die Satire so ins Schwarze trifft, das es richtig weh tut. Auch hier in meiner Region (großflächig genommen) nimmt die Gewalt zu, werden Menschen anderer Hautfarbe im Park angegriffen und zusammengeschlagen. Vielleicht war sogar einer derjenigen darunter, mit denen ich mich so nett unterhalten hatte (s. "Asyl mit Rollstuhl"). Ich habe Angst, wenn ich sowas lese. Aber ich weiß, dass ich diese Angst überwinden muss, um helfen zu können. In Schwedt hat sich bereits eine Gruppe gebildet, die Ja zu dem Flüchtlingsheim sagt.

Ich kenne jemanden, der seinen Job beim Ministerium an den Nagel gehängt hat - zuständig für die Abschiebung, ganz nah an den Schicksalen. Ich wünschte mir, diese ganzen Meckerer würden mal einen Tag in die Schuhe eines Flüchtlings steigen und darin herumlaufen, wie es in einem literarischen Klassiker heißt.

Mittwoch, 5. August 2015

Kinderkram ist klasse

Ich hab mir einen Raptor gekauft. Als anatomisch korrektes Kuscheltier mit Federn. Adieu, Küchenszene, stelle ich sie mir flauschig vor, sind die Kerlchen aus Jurassic Park nicht mehr ganz so furchteinflößend.


Ach, wem mache ich was vor, der Filmausschnitt ist bis heute spannend! Als elfjähriger Saurierfan flehte ich meine Eltern an, mit mir ins Kino zu gehen (FSK 12). Sie gaben schließlich nach unter der Bedingung, dass mich beide beleiteten und ich keine Alpträume bekäme. Während sich meine Eltern links und rechts immer wieder hinter den Sitzen ihrer Vordermänner versteckten, knabberte ich Popcorn und amüsierte mich königlich.  - Oh, hej, wenn hier Kinder lesen, diese Links sind FSK 12, gell? Pfoten weg! - Mein Vater am nächten Tag beim Frühstück: "Ich hab heute Nacht von Dinosauriern geträumt..."

Mir ist aufgefallen, dass alles, was mich als Kind faszinierte, mir bis heute nachhängt. Da kann ich im Kino sitzen und bei Jurassic World alle Logikfehler ignorieren, solange ich für den T. Rex jubeln darf. Meine Kuscheltiersammlung wird von Jahr zu Jahr größer, ich nenne sie heute nur "Souvenirs":

Der Kiwi aus Neuseeland

Corporal Flapjack Junior von der Royal Canadian Mounted Police

Und natürlich "Prawa Reca", meine wortwörtliche und im übertragenen Sinne "rechte Hand" bei Wolfseminaren

Zwar bin ich nicht dem Youtube-Katzenvideo-Wahn verfallen (aufgewachsen in einer Hundefamilie, hatte ich mit neun einen genauen Plan gezeichnet, wo in unserem Haus eine Katze Platz hätte, samt Konfliktpotential - Hund, Wellensittiche - und einem Zeitplan, wie viel ich mich um sie kümmern könnte. Es hat meine Eltern nicht überzeugt.), aber ich liebe "Simon's Cat". 
Und warum auch nicht? Quasi meine ganze berufliche Karriere baut auf Kindheitsträumen auf, heute mehr denn je: Mit zwölf hatte ich meinen ersten "Presseausweis" von der Jugend- und Umweltzeitschrift "Klick", die Begeisterung fürs Schreiben und Recherchieren ist untrennbar mit meinem Interesse an Naturthemen verknüpft. Der Hund, mit dem ich die ersten sechs Jahre meines Lebens aufwuchs, der uns beschützte und im Winter unseren Schlitten zog, hieß "Wolf". Mit elf schickte ich meinen ersten "Roman" an einen Verlag und bekam eine liebevolle und ermutigende Absage, über deren Formulierung sich die Lektorin offensichtlich viele Gedanken gemacht hat. 
"Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt", schrieb einst Friedrich Schiller - und es ist das Rollenspiel  gewesen, das mir den Spaß am literarischen Schreiben und meine kreativen Ideen wiedergegeben hat. Welche Runden Angela Merkel wohl früher heimlich geleitet hat? Zumindest meint ein Professor der Psychologie, dass Politiker sicher gute Rollenspieler seien und dass sich die Menschen durch das Spiel so entwickelt haben, wie sie sind - ob das nun gut ist oder schlecht. Und nicht nur Haustiere spielen, wie in dem Interview erwähnt. 2006 im Yellowstone Nationalpark beobachtete unsere Gruppe, wie der Wolf 302M, Spitzname "Casanova", sich an einem Schneehang auf den Rücken warf, um ihn hinunterzurodeln. 

Leider war er da noch zu weit weg für ein Foto. Hier benimmt er sich wieder "erwachsen"


Nun, wenn Angela Merkel je Rollenspielerin war, wird sie es wahrscheinlich nicht verraten, weil es zu kindisch wirkt. Kindisch - ein echtes Schimpfwort. Zwar klingt es wahnsinnig tiefgründig, wenn man sagt, man wolle das "innere Kind" bewahren, aber wenn man sich dann entsprechend verhält, ist auch keiner zufrieden. Kinder sind nämlich egoistisch und laut und stören. Aber sie haben auch Ideen, grübeln sich nicht alles kaputt und wollen die Welt verändern.

Nun, mir hat es viel gebracht, mich wieder darauf zu besinnen, was ich als Kind vom Leben wollte. Es hat mich glücklicher gemacht. Damals sang ich schon "Ich wollte nie erwachsen sein", ohne auch nur eine Zeile richtig zu begreifen. Aber Kinder haben sowieso die tollsten Theorien über die Welt. Resi, die vierjährige Tochter einer befreundeten Familie, beruhigte jüngst meiner Schwester: "Du wirst noch jung. Wenn du eine alte Oma bist, musst auch wieder eine Windel anziehen, und deswegen bist du dann wieder ein Baby." Unschlagbare Logik!