Freitag, 22. August 2014

Journalisten, die verkappten Schriftsteller

Ich wollte eigentlich mal meine Diplomarbeit über dieses Thema verfassen: die Verknüpfung von Journalismus und Schriftstellerei. Zahlreiche Journalisten, die ich kenne, haben ein unveröffentlichtes Buchmanuskript in der Schublade. Ganz verschämt. Viele geben es ungern zu, vor allem, wenn es sich um einen Roman handelt. Die Grenze zur Fiktion zu überschreiten, da tun sich Journalisten schwer, die ja in der Ausbildung solche Begriffe wie Objektivität, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit eingebleut bekommen haben (oder eingebleut bekommen sollten). Dabei sind viele Regeln des guten Schreibens überall die gleichen.

Eine Recherche, die sich zu einem Sachbuch auswächst, ja, das ist anerkannt. Aber Schriftsteller? Das ist ein Traum, wie ihn Kinder haben. 2013 haben deutsche Verlage laut Börsenverein des Buchhandels 81.919 Titel in Erstauflage herausgebracht, Tendenz steigend. Auf der Frankfurter Buchmesse brechen nur deshalb die Tische nicht zusammen, weil das E-Book auf dem Vormarsch ist. Dabei leben nur zehn Prozent der Autoren hauptberuflich vom Schreiben, so eine Schätzung. Lohnt es sich da überhaupt, in dieses Haifischbecken einzutauchen? Ist das, was ich mir erdacht habe, wirklich so innovativ, spannend und neu, dass es die Welt unbedingt braucht?

Nun, ich werde es ausprobieren. Gerade hat mich eine Literaturagentur unter Vertrag genommen und versucht nun, mein Erstlingswerk an den Verlag zu bringen. Eine Werwolf-Geschichte, die sich an den neusten Stand der Wolfsforschung hält, statt alte Klischees vom Monster oder Natur-Symbol fortzuschreiben. Mehr wird noch nicht verraten, bis ein Lektor mal was dazu gesagt hat.


Genau genommen ist dieses Manuskript nicht das erste Buch, das ich geschrieben habe. Und damit meine ich gar nicht meine Diplomarbeit (letztlich doch ein anderes Thema), die als Buch erschienen ist. Im zarten Alter von elf habe ich "Metzi, das Miststück" an einen Verlag geschickt, grandiose dreizehn Seiten inklusive eigenhändige Zeichnungen von der frechen Katze namens Metzi. Alles in allem war mein Stil sehr beeinflusst von den Büchern, die ich damals las, aber ich war wahnsinnig stolz auf mein Werk.

Und dann kam die Absage. Aber was für eine! Eine großartige Lektorin hat sich hingesetzt und sich viele Gedanken gemacht, einen Brief an ein Kind zu formulieren, ohne es völlig zu entmutigen. Ich besitze diesen wunderbaren Brief noch heute. "Wir haben Dein Manuskript in unserem Lektorat mit Interesse gelesen und uns gefreut, wie nett du erzählen kannst", begann sie. Und erklärte dann, dass die Herstellung eines Buchs viele tausend Mark kostet und man deshalb hohe Ansprüche stellen muss, die mein Buch leider nicht erfülle. "Aber sicher hat Dir das Schreiben Deiner Geschichte sehr viel Spaß gemacht, und das ist doch auch schon etwas sehr Schönes."

Damit reiht sich diese Dame ein neben Tante Gretchen, die mir mein erstes Tagebuch schenkte, und Herrn Pötz, mein Lehrer, der mir erst die Buchstaben beibrachte und dann meine erste Erzählung, bestehend aus drei Sätzen, im Schulflur ausstellte. Sie alle haben meine Liebe zum Schreiben gefördert und mir Mut gemacht, dass es Menschen gibt, die tatsächlich lesen wollen, was ich fabriziere. Denn deshalb bleiben so viele gute Geschichten ungelesen: Weil sich die Autoren nicht trauen, sie aufzuschreiben - oder sie aus der Schublade zu lassen. "Schreib!", lautet die erste von acht Regeln, die der erfolgreiche Fantasy-Schriftsteller Neil Gaiman aufgestellt hat. Also, worauf wartet ihr noch? Ich fang schon mal an!

Montag, 11. August 2014

P.S. Am Straßenrand

Kleiner Nachtrag zu meiner Tramper-Geschichte: Gestern habe ich an der Auffahrt zum Berliner Ring eine Anhalterin mit Benzinkanister aufgesammelt. Schon ihr Winken (nicht Daumen raus, sondern mit flacher Hand "langsamer" signalisieren) hat mir gezeigt, dass sie aus Polen kommt. Sie konnte kaum Deutsch, aber schnell hatte ich die Geschichte begriffen: Auf dem Weg nach Stettin war die Tankstelle doch weiter weg, als das Navi anzeigte. Die Frau stand auf dem Standstreifen und vor der schwierigen Entscheidung, ihre drei Kinder - 13, 8 und 5 - im Auto zurückzulassen und selbst die A10 entlang zur Tanke zu trampen. Was auch sonst im Ausland? Jetzt war sie auf dem Rückweg. Aber das Auto steht auf der Gegenspur. Als wir vorbeifahren, ist da schon eine Streife mit Blaulicht. Die nächste Abfahrt: wegen Baustelle gesperrt. Die Mutter den Tränen nah. Die Kinder können kein Deutsch, haben kein Handy. Werden die Polizisten sie mitnehmen? Ich hab die Erleuchtung: Ich rufe 110 an und sage, dass wir auf dem Weg sind. Endlich an der richtigen Stelle. Die Kinder fallen Mama um den Hals und sie mir.  Die Polizisten verabschieden sich mit Handschlag und ermahnen mich, beim Ausfahren vom Standstreifen in den Spiegel zu schauen.  Jeden Tag eine gute Tat - so verkehrt ist das nicht.

Freitag, 8. August 2014

Werbeoffensive für Jesus


Alle Jahre wieder gibt es in Schwedt eine Großoffensive des Christlichen Plakatdienstes: In einer Stadt, in der 87,5 Prozent der Bevölkerung (Stand 2012) nicht den beiden großen christlichen Kirchen angehören - und die meisten davon einfach konfessionslos sind - tauchen plötzlich Plakate mit erbaulichen Bibelzitaten auf. Meinen die echt, sie können damit jemanden bekehren? "Zu suchen und zu erretten, was verloren ist" - sind damit die ganzen Heiden aus der Ex-DDR gemeint?

Als mir meine Eltern beim Umzug in die Uckermark halfen, sorgte meine Mutter für einen guten Lacher, als sie am Samstagabend beim Plausch mit einer Kellnerin meinte, wir könnten ja sonntags die Deckenlampen in die Platte hämmern, wenn eh alle im Gottesdienst seien. Die Brandenburgerin machte ein völlig verblüfftes Gesicht, wie jemand nur auf so eine Idee kommen könnte. Im gut katholischen Villmar habe ich mir schon Sprüche anhören müssen, wenn ich am heiligen Sonntag mein Motorrad wusch. Erst jetzt im Osten fällt mir auf, mit wie viel christlichem Hintergrund ich aufgewachsen bin: katholischer Kindergarten (damals der einzige in Villmar), Kindergottesdienst (in der evangelischen Nachbargemeinde), Konfirmation, katholische Universität.

In Eichstätt versuchte eine Nachbarin, mich mit Marienbildchen zum katholischen Glauben zu bekehren und erwies sich dabei als hartnäckiger als alle Zeugen Jehovas. Der Vater eines Mitbewohners schmetterte mir, wenn er mich am Telefon erwischte, ein "Gott liebt Sie, Andrea, Sie müssen ihn auch lieben" entgegen. Kurz: Ich kam mir manchmal wirklich wie eine Ungläubige vor, bis ich im Osten meinesgleichen gefunden habe.

Meinesgleichen? Das ist nicht korrekt. Denn vielen Schwedtern fehlt der christliche Hintergrund komplett. Karl Marx bezeichnete die Religion einst als "Opium des Volkes" (nicht "für das Volk") prangerte damit an, sie sei nur dazu da, um das Elend des Proletariats zu rechtfertigen. Unter dem DDR-Regime entwickelten sich die Kirchen zu Widerstandsnestern. Kein Wunder: Wer in der Kirche war, war meist nicht bei den Pionieren und damit Außenseiter, er durfte nicht alles studieren, manchmal nicht mal Abitur machen. So erzählen es mir alte Schwedter, die unter dem christenfeindlichen Klima litten. Keine Ideologie sollte dem Kommunismus Konkurrenz machen.

Das hat Folgen bis heute. Aber auch im Westen geht's der Kirche nicht gut. Missbrauchsskandale und teure Bausünden sorgen dort für Massenaustritte (8000 Menschen haben allein 2013 Tebartz-van Elst' Diözese Limburg den Rücken gekehrt - fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Im Artikel stehen 80 Prozent mehr, aber da kann ein Kollege nicht ganz rechnen.) und wirken sich im Osten auf alle Konfessionen aus. "Die Leute machen keinen Unterschied zwischen evangelisch und katholisch", sagte mir ein Mitglied des evangelischen Kreiskirchenrats Uckermark. "Die sagen nur: Was macht dieser Bischof für einen Blödsinn, ich gehe!" Wohlgemerkt - das sind jetzt schon die  Christen, die es eigentlich wissen müssten.

Heißt es automatisch, dass unsere Gesellschaft verfällt, wenn Leute nicht in die Kirche gehen? Das würde ich so nicht unterschreiben. Aber ich bedaure es nicht, den christlichen Hintergrund zu haben. Ich mache mir gerne Gedanken über die Gemeinsamkeiten von Judentum, Christentum und Islam (lieber als über die Unterschiede), die Vorstellung von einem Gott hat Architekten, Musiker, Künstler, Autoren und Philosophen über Jahrtausende hinweg inspiriert und beflügelt, ob sie sich an den Kirchen gerieben haben oder nicht. In Filmen und Büchern gibt es so viele Anspielungen an Bibelgeschichten, die jemand ohne jede Kenntnis davon gar nicht mitbekommt. Kirchliche Einrichtungen übernehmen zahlreiche gesellschaftliche Aufgaben und helfen denen, die es am nötigsten haben. Gottesdienste und Gemeinden geben Menschen Halt und Zusammenhalt. "Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden", da stimme ich Voltaire zu.

Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob es Gott gibt. Aber ich halte es für möglich. Früher dachte ich mal, ich müsste für mich genau festlegen, wie mein Glaube oder Nichtglaube aussieht. Das sehe ich mittlerweile gelassener. Für mich ist frei nach der Theorie des Konstruktivismus (noch ein -ismus, aber was soll's. Den Link müsst ihr nicht lesen. Es ist echt kompliziert.) die Religion nur eine andere Art, die Welt zu sehen, als die der Wissenschaft: Wenn die Wissenschaft etwas beweist, dann nur im Rahmen der Wissenschaft. Und ein Gläubiger sieht jeden Tag den "Beweis" für die Existenz Gottes. Ich habe einen Bekannten, der sagt: "Wenn ich höre, jemand ist gläubig, ziehe ich zehn Punkte von seinem IQ ab." In der Diskussion mit ihm bin ich der größte Verteidiger der Religion. Wenn jemand die Bibel zu wörtlich nimmt, habe ich alle Argumente dagegen parat. Wer sich seiner Wahrheit zu sicher ist, wird schnell intolerant, und daraus entstehen so viele schreckliche Konflikte, werden Menschen verletzt und ausgegrenzt.

So, das ist also die nicht sehr spektakuläre Enthüllung meiner eigenen religiösen Agenda. Und wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt - glaub mir nicht.

P.S. Übrigens ist der Verein, der diese Plakate aufstellt, nicht mit dem seit über 60 Jahren existierenden Christlichen Plakatdienst Hamburg zu verwechseln. Diesen hier gibt es erst seit 2003 und wird von religionskritischen Internet-Seiten wie Psiram beobachtet. Beim Namen des Vorsitzenden Erhard von der Mark frage ich mich, ob das ein Pseudonym ist. Oder ist der echt ein Nachfahre des "Kardinals von Boullion" (das Herzogtum, nicht die Suppe) aus dem 16. Jahrhundert?