Freitag, 31. Oktober 2014

P.S. All Hallows' Read

Na, wer macht mit beim #allhallowsread? Ich hab mir meine Lieblingsstelle aus dem "Gespenst von Canterville" ausgesucht. Ein gruseliger Vorgeschmack auch auf den deutschen Vorlesetag!


Alle Jahre wieder



... geht das Gejammere los: Halloween hat in unserer Kultur nichts verloren, blöde Amerikanisierung, reine Geschäftemacherei! Die evangelische Kirche ist unglücklich, weil kaum jemand daran denkt, dass heute Reformationstag ist. In Brandenburg ist es wenigstens ein Feiertag (der einzige, den wir den Bayern voraushaben. Eigentlich wäre das eine Chance, sich fürs Bayern-Wecken zu revanchieren).

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich hab kein Kostüm, ich gehe heute auf keine Gruselparty und ziehe auch nicht um die Häuser. Aber ich habe überhaupt kein Problem, wenn andere das tun. Im vergangenen Jahr hatte ich mich sogar mit Süßigkeiten auf "Süßes oder Saures" vorbereitet. Aber in Schwedt trauen sich die Kinder - wahrscheinlich zurecht - nicht, alle Platten durchzuklingeln. Wahrscheinlich würde ihnen zu schnell das Klopapier ausgehen, um jedes Haus einzuwickeln, wo sie nichts kriegen.

Es ist wie mit den Lebkuchen, die Ende August in den Geschäften auftauchen. Niemand ist gezwungen, sie zu kaufen! Mir verdirbt das nicht die Vorweihnachtsfreude. Und wer die schrecklich billigen Plastikdekorationen und Kostüme nicht mag, kann ja selbst was nähen oder basteln. Ich verstehe, was Kinder (und Erwachsene) an Halloween fasziniert: Es kombiniert den Spaß am Verkleiden zu Fasching mit der ungesteuerten Wildheit der Freinacht. All Hallow's Eve, der Tag vor Allerheiligen, ist nicht so streng in Vereinen organisiert und trifft den Nerv der Zeit mit ihrer Faszination für Zombies, Vampire und sonstigem Gruselgetier. Immerhin hatte Schwedt gestern Abend schon mal das passende Wetter: Ein Nebel so dicht, dass man die Plattenbauten kaum sehen konnte und sich von Lichtinsel zu Lichtinsel vortastete.


Wobei ich aber finde, dass die neuen weißen Lampen den Gruseleffekt fast noch verstärken. Die alten orangenen sind wärmer und stimmungsvoller. Leider werden sie alle ausgetauscht nach und nach.






Das Asklepios-Klinikum nutzt die Faszination für Blutsauger seit Jahren, um zumindest in Halloween-Nähe eine "Nacht der Vampire" am Theater zu veranstalten - und viele neue Blutspender zu gewinnen. Super-Aktion! Und ja, wäre ich noch in Hessen, würde ich heute auf jeden Fall in die Stadtbibliothek Diez gehen, wo meine Freundin und ihr Team eine Halloween-Party veranstalten und Kinder in die Bücherei locken.In Amerika haben Autoren wie Neil Gaiman im vergangenen Jahr "All Hallows' Read" eingeführt, der Versuch, Leute zum Lesen zu bewegen, indem man ihnen Gruselbücher schenkt oder leiht. Also sowas wie der deutsche Vorlesetag, der auch eine tolle Idee ist und viele schöne Projekte hervorruft, aber irgendwie wieder nicht so cool klingt. Und selbst wenn - warum nicht zwei Tage haben, um Kindern Bücher schmackhaft zu machen?

Es mag eine Angloamerikanische Tradition sein, die ursprünglich von den Kelten aus Irland kommt. Aber auf der ganzen Welt wird der Tag der Toten gefeiert. Ich erinnere mich noch daran, wie die Nachbarsjungen, als ich klein war, mit einer fratzenhaften Runkelrüben-Laterne von Haus zu Haus gezogen sind und das Lied vom "Glühlichtermann" gesungen haben, um Süßigkeiten oder Geld abzustauben. Ein Kürbis lässt sich halt viel leichter aushöhlen als so eine Runkelrübe!

P.S. Ach ja, nochmal ein Wort zu Alle Jahre wieder und Amerikanisierung. Es ist auch alles andere als korrekt zu sagen, der Weihnachtsmann kommt aus Amerika und wir sollten lieber das Christkind einführen. Der Weihanchtsmann ist genauso alt wie das Christkind. Nach der Reformation (Roformationstag, Leute!), die die Heiligenverehrung abschaffte, wollte man in protestantischen Gebieten den Kindern ihren Gabenbringer nicht wegnehmen. Also erfand man in manchen Gebieten das Christkind, in anderen den Weihnachtsmann. Letzterer war eine grimmige Gestalt, angelehnt an Herrn Winter, der je nach Darstellung einen Mantel in grün, gelb oder eben rot-weiß trug. Ja, Coca Cola hat das dann aufgegriffen und das Bild vom dicken, fröhlichen Santa Claus in ihren Markenfarben geprägt. Aber das ist alles nur geklaut von etwas, das schon längst existierte. Kann man übrigens alles im Weihnachtsmuseum in Rothenburg o.d. Tauber nachschauen.

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Mundschutz und japanische Höflichkeit

Warum dürfen Jugendliche ins Hofbräuhaus? Darüber hat die japanische Reisegruppe tagelang gerätselt. Im Zug nach Berlin nutzt die Reiseleiterin die Chance, neben einer redseligen Deutschen - mir - zu sitzen, und fragt. In Japan sei es völlig undenkbar, dass Schüler in solche Trinketablissements gehen!  Während ich das deutsche Jugendschutzgesetz erkläre, fange ich auf einmal an zu zweifeln, ob das wirklich so vernünftig ist: Bier und Wein an Jugendliche ab 16 auszugeben, und, wenn die Eltern dabei sind, sogar ab 14. Ich versuche mich zu trösten mit der Vorstellung, dass ein Lehrer seiner Schulklasse in München sicher nur Cola und Limo erlaubt, selbst im traditionsreichen Hofbräuhaus. Und dass eine Regelung wie in den USA, wo Jugendliche legal eher eine Waffe als eine Flasche Bier kaufen können, auch niemanden von Alkoholexzessen abhält.

Ganz offensichtlich hatte ich den besseren Streik-Tag bei der Bahn erwischt. Und der Rückweg in den Osten wird durch die Plauderei mit den Japanern sehr kurzweilig. Ich fühle mich an Austauschstudentin Mayumi erinnert, mit der ich mich an der Uni angefreundet hatte. Wir haben viele Gespräche über kulturelle Unterschiede geführt. "Deutsche sind so grundsätzlich", sagte sie - und meinte eigentlich tiefgründig, aber ihre Wortwahl fügt noch eine ganz neue, aber passende Dimension hinzu. Mayumi meinte, dass in Japan die wenigsten Menschen in ihrem Alltag über große Fragen des Lebens nachdenken, selbst die Studenten nicht. In Deutschland schien ihr das selbstverständlich zu sein. Tatsächlich hat erst die Fukushima-Katastrophe dazu geführt, dass manche Japaner die Regeln der Höflichkeit fallen ließen und deutlich ihre Meinung kundtaten.

Auf einen Kulturschock hätte Mayumi jedoch gut verzichten können: Einmal liefen wir unter der heißen Eichstätter Sommersonne zu meiner WG. Ein Nachbar fegte gerade brav die Garageneinfahrt: in Shorts, über deren Bund der nackte Bierbauch hing, ein Rücken wie ein Bärenfell, aber Sportsocken in den Sandalen. Wir grüßten höflich, er grüßte zurück. Hundert Meter weiter konnte Mayumi nicht mehr an sich halten. Mit einem entsetzten Blick über die Schulter flüsterte sie mir zu: "Was war das denn?" Darauf gab es nur eine Antwort: "Ein deutscher Mann."

Kurz vor dem Berliner Hauptbahnhof konnte ich aus gegebenem Anlass auch eine Frage loswerden: Eine Frau aus der japanischen Reisegruppe setzte sich einen Mundschutz auf. In Deutschland wirkt das abseits eines Krankenhauses etwas befremdlich. Hat sie Angst vor Smog, vor bösartigen Viren oder befürchtet sie gar wie der einstige King of Pop, man starre ihre Nase an? Nein, klärt mich die Reiseleiterin auf, es ist genau umgekehrt: Sie hat keine Angst vor Ansteckung, sie möchte niemanden anstecken. Die Dame hat ein wenig Schnupfen und trägt den Mundschutz aus Höflichkeit ihren Mitmenschen gegenüber. Das ist eine viel menschlichere Erklärung.

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Die Bahn kommt (nicht)

Ich mag die Bahn. Wirklich! Auf weite Strecken finde ich sie die angenehmste Art zu reisen. Lange Autofahrten sind stressig und gleichzeitig langweilig, weil man am Lenkrad nichts machen darf (oder sollte). Anhalter können eine schöne Abwechslung sein. Aber in der Bahn kann man lesen, am Laptop arbeiten, dösen... Und zwischendurch rumlaufen oder am Bahnsteig frische Luft schnappen, was im Flieger nicht funktioniert. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mit Hinfahrt zum Flughafen, Ein- und Auschecken auch viel Zeit verliere, widerstrebt es meinem ökologischen Bewusstsein, innerhalb Deutschlands zu fliegen.

Also die Bahn. Es gibt viele Witze über sie und viele davon sind leider auch noch wahr. Was hab ich nicht schon alles mit der Bahn erlebt! Der Zugbegleiter mit Radiomoderator-Qualitäten, der alle Passagiere dazu brachte, sich wie Helden zu fühlen, als unser ICE Zuggäste aus einem liegengebliebenen Zug auf freier Strecke über Alubrücken evakuierte. Über die Verspätung und das Gedränge in den Abteilen ärgerte sich dann keiner mehr.

Oder der Besoffene, der einen Nothammer von der Wand riss, wahrscheinlich, um dem den Kopf einzuschlagen, den er für den Dieb seines falsch abgestellten Koffers hielt. Ich folgte ihm unauffällig und alarmierte die Zugbegleiterin, die dem Typen auf freundliche, aber bestimmte Art die Waffe wieder abnahm, bevor sie ihn im nächsten Bahnhof der Polizei übergab.

Lustig sind auch die Kommentare der Zugführer im Regionalverkehr, die über Lautsprecher mit typischer Berliner Schnauze zum Freimachen der Türen auffordern: "Sach tschüss, Mutti!"

Dass die Reisezentren nicht immer ganz logisch aufgebaut sind, dachte ich mir in München. Ein Mann erklärte einem Herrn mit Migrationshintergrund im tiefsten Bayerisch, dass er erst eine Nummer ziehen müsse. Ich schaute auf das verständnislose Gesicht des Angesprochenen und hatte großes Mitleid, bis er in nicht weniger breitem Dialekt antwortete: "Jo, wennst gnau hi gokst..."

Und gestern kam dann der Streik. Von neun Uhr am Vorabend bis sechs Uhr früh ließen die Zugführer alles stehen - und natürlich hieß das nicht, dass die Pendler ab sechs zur Arbeit kommen würden. Ich hatte mir für den Tag eine Fahrt zu meinen Eltern nach Hessen vorgenommen und dokumentierte meine Erlebnisse für Freunde auf Facebook:

6.18 Uhr: Selbsttest am Morgen nach dem Bahnstreik, 1: Ich hoffe, dass sich jetzt irgendwo der Zug in Bewegung gesetzt hat, der mich vor 10 Minuten nach Berlin hätte bringen sollen.

6.48 Uhr: Selbsttest 2: Die elektrische Anzeige kündigt weiterhin an, dass der Zug um 5:08 Uhr ausfällt. Der Typ am Servicetelefon sagt, der nächste, mit dem wir in Schwedt rechnen können, fährt erst um 8:08. Ich erzähle das mal am Bahnsteig rum. Lustig, dass da so viele rumstehen, aber keiner kommt auf die Idee, mal die überall ausgehängte Nummer anzurufen. Mal sehen, ob es im Oder-Center guten Tee gibt.

7.38 Uhr: Selbsttest 3: Kein Tee so früh am Morgen. Ich nehme den Bus nach Angermünde, wo die Chance auf ein Weiterkommen größer ist. Leider gilt mein Bahnticket nicht. 3,50 Euro ist es mir aber wert, nicht noch länger zu warten.

8.45 Uhr: Selbsttest 4: In Angermünde ward auch noch kein Zug gesehen, aber hier gibt's einen Laden, der seit 5 auf hat. Nur wer hat die öffentlichen Toiletten abgeschafft?

9.23 Uhr: Selbsttest 5: Sitze endlich in der Bahn. Die Schaffnerin erinnert mich daran, das Fahrgastrechteformular auszufüllen. Zeit dafür werde ich in Berlin wohl haben. Einen Anschluss nach Frankfurt kann sie mir nämlich nicht nennen.

10.23 Uhr: Selbsttest 6: Die meisten Leute am Berliner Hbf sind recht gelassen. Sie waren offenbar auf Verspätung eingestellt. Keine 5 Minuten und ich hatte meinen Antrag auf Fahrtkostenrückerstattung. Der nächste ICE in Richtung Frankfurt soll angeblich pünktlich sein. Ich trau dem Frieden aber noch nicht ganz. :-)

10.40 Uhr: Selbsttest 7: Tatsache: Pünktliche Abfahrt, freie Wahl zwischen zahlreichen leeren Plätzen. Wie viele Menschen haben heute lieber das Auto genommen? Wenn mir nicht noch was Spaßiges begegnet, beende ich hier mein Protokoll. Einen schönen Tag!

"Du bist nicht von dieser Welt", kommentierte einer den letzten Beitrag - und tatsächlich muss ich den einzigen Zug erwischt haben, der unbehelligt von Umleitungen, Wartezeiten, spontaner Umorganisation etc. quer durch Deutschland durch das ganze Chaos geschlüpft ist. Ja, ich denke, das größte Problem ist bei der  Bahn die mangelnde Kommunikation. Warum kann die elektronische Anzeige nicht auch die anderen ausfallenden Züge bekannt geben?

Und das ist nicht nur im Krisenfall so: Warum wird im Berliner Ostbahnhof über Lautsprecher die Einfahrt und das Einsteigen ("Achtung an den Türen!") eines Zuges auf dem geplanten Gleis kommentiert, während der am Ausweich-Gleis erst eine Viertelstunde später kommt - und die Mitarbeiter am Infoschalter mir das schon eine halbe Stunde früher persönlich sagen konnten? Warum werden Gäste aus den USA im Weihnachtschaos völlig allein gelassen und nicht mal mehr der Versuch einer englischen Durchsage gemacht, als ein Zug einfach früher endet und alle mit der S-Bahn Richtung Hauptbahnhof weiter fahren sollen? Monty aus Las Vegas, trotz Daunenjacke und Mütze zitternd im eisigen deutschen Winter, war sehr dankbar für meine spontane Übersetzung.

Aber trotzdem werde ich auch weiterhin die Bahn nehmen. Bei der jährlichen Preiserhöhung schlucken. Mich ärgern, wenn der der letzte Zug zwischen Berlin und Schwedt gestrichen wird, der es mir noch erlaubte, abends in der Hauptstadt mal ins Kino zu gehen. Aber es bleibt immer der Trost: In anderen Ländern ist Bahnfahren noch ein viel größeres Abenteuer.


Mittwoch, 1. Oktober 2014

Kraniche im Odertal

Manchmal wundern sich meine Bekannten immer noch, warum ich freiwillig nach Schwedt gegangen bin. Insbesondere die uckermärkischen, übrigens: Meine Freunde aus dem Westen sind alle ohne jede Vorurteile oder Erwartungen zu Besuch gekommen und waren durch die Bank positiv überrascht. Selbst die Plattenbauten, die die Stadt dominieren, die im Zweiten Weltkrieg zu 85 Prozent zerstört wurde (und manches noch danach), sind ganz passabel, vor allem, weil so viel Grün dazwischen ist.


Grün ist nämlich das Stichwort: Was mich von Anfang an für Schwedt eingenommen hat, als ich als Volontärin herkam, war die Natur - und das im Winter! Jeden Morgen, wenn ich das Fenster öffnete, zogen die Wildgänse schnatternd über das Haus zum Fressen auf die Felder. Das inspirierte mich gleich zu einem Interview mit der Naturwacht: Was machen die ganzen Gänse hier? Tja, lernte ich, die skandinavischen sind nicht solche Warmduscher wie die deutschen Wildgänse. Ihnen ist das Untere Odertal südlich genug zum Überwintern.


Seit fast 20 Jahren ist das Untere Odertal Nationalpark und hat erst seit dem 11. September einen einheitlichen, für alle verbindlichen Nationalparkplan. So widersprüchlich es klingt, erst dadurch, dass ein Teil der Auenwiesen landwirtschaftlich genutzt wird, bilden sie einen Lebensraum für seltene Tiere wie den Seggenrohrsänger, von dem es nur drei in Deutschland gibt - hier.Im Winter werden die Polder geflutet, im Sommer kann man geführte Kanutouren durch die verzweigten Kanäle machen.


Momentan allerdings gibt es nur einen Star im Unteren Odertal: den Kranich. Jeden Herbst machen Tausende von ihnen auf dem Weg nach Süden Rast in den Poldern. So viel Glück auf einmal! Gartz, das etwa 20 Autominuten nördlich von Schwedt liegt, feiert gerade die Kranichwoche mit Führungen und Vorträgen. In der Abenddämmerung stehen Hunderte Vogelliebhaber am Deich und warten auf das spektakuläre Schauspiel, wenn die Kraniche im aufsteigenden Nebel ihre Schlafplätze anfliegen.


Manchmal ist es sogar zu viel des Guten. Dann machen die scheuen Tiere lieber einen großen Bogen um Gartz und suchen sich einen ruhigeren Ort af der anderen Oderseite.





Ja, das Untere Odertal ist ein sehr guter Grund, warum man Schwedt und Umgebung lieben kann.