Freitag, 20. November 2015

Lektorin im Interview - also ich

Bislang bin ich diejenige gewesen, die Interviews geführt hat. Mal auf der anderen Seite zu stehen, hat einen Riesenspaß gemacht. Autorin Charlotte Cole, eine meiner Selfpublishing-Kunden, hat sich ein paar lustige Fragen an ihre Lektorin ausgedacht: http://charlottecolewrites.com/2015/11/19/wanderlust-vampire-pralinen-ein-interview-mit-meiner-lektorin-andrea-weil/

Mittwoch, 18. November 2015

Paris, Terror und persönliche Angst

Habe ich Angst?

Ich glaube, irgendwann um halb zwei in der Nacht von Freitag auf Samstag, als ich immer noch mit vor Müdigkeit brennenden Augen vor dem Fernseher saß und die Nachrichten aus Paris verfolgte, hatte ich einen kurzen Moment lang dieses "Als nächstes Berlin"-Gefühl, das mir den Magen zusammenpresste. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ich habe mal versucht, mir vorzustellen, wie es wäre, wie meine syrische Freundin Nadra aus meiner umkämpften Heimat zu flüchten. Habe versucht mir vorzustellen, das Knallen abends sei kein Polenböller, den ein übermütiger Jugendlicher losgelassen hat, sondern Geschützfeuer. Habe mich in der Wohnung umgesehen und überlegt, was ich einpacken würde, wenn ich nur fünf Minuten hätte zur Flucht. Aber auch wenn ich Fantasie habe, ich fühle es nicht. Alles bleibt an der Oberfläche.

Das ist sicher eine Art Schutzmechanismus meines Gehirns. Empathie ja, aber bitte nicht so viel, dass mich die Angst lähmt. Oder die Arroganz des jungen Menschen, der nie ernsthaft verletzt wurde und sich unbewusst für unsterblich hält? Vor gut zwei Jahren wurde ich mit Verdacht auf Krebs ins Krankenhaus gesteckt und eine Woche lang komplett umgekrempelt auf der Suche nach einem Tumor. Als mir die Ärztin das am Telefon ankündigte, brach ich erstmal in Tränen aus. Doch gleich darauf folgte eine seltsame Taubheit, und am nächsten Morgen war ich völlig ruhig. Das konnte einfach nicht sein, Punkt. Und es war am Ende tatsächlich nichts. Trotzdem war diese Woche, in der ich dachte, ich könnte sterben, wohl der Auslöser, dass ich mein Leben komplett umgekrempelt und mich selbständig gemacht habe. Mich auf das besonnen habe, was mir wichtig ist. Aber nicht sofort, nicht wie im Film. Das ging schleichend über Monate.

Mitfühlen hat auch mit Nähe zu tun. Am Freitag dachte ich plötzlich wieder an den Ex einer Cousine, der Polizist in Paris ist. Dabei ist es rund 20 Jahre her, dass die beiden sich getrennt haben. "Nähe" ist ein Nachrichtenwertfaktor. Deswegen sind wir von Paris mehr aufgestört als von dem Krieg in Syrien. Umso beeindruckender finde ich, dass sich viele Libanesen jetzt solidarisieren. Gestern also eine Drohung gegen das Länderspiel in Hannover. Terrorwarnung statt Zeichen gegen Terror. "Die Lage ist ernst." Der Innenminister will keine Details nennen, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen - eine Aussage, die erst recht beunruhigt.

Habe ich Angst? Nein.

Helge Schneider übrigens auch nicht. Zumindest spielt er Gelassenheit in dem Video, in dem er die Absage seiner Veranstaltung verkündet. Ich glaube, jenseits der Darbietung mehr Wut als Angst zu erkennen. Wut auf die Terroristen, die sich einbilden, einen gerechten Krieg gegen Ungläubige zu führen oder was auch immer. Und Trotz, dass sich niemand unterkriegen lassen soll. "Wenn das so weitergeht und ich am Ende morgen auch nochmal absagen muss - dann komm ich Donnerstag wieder."

Also nicht nur ein Schutzmechanismus, sondern auch Trotz. Wieder stand Paris im Fokus der Terroristen und eine Konzerthalle, wo sich nach dem Bekennerschreiben der IS "Götzendiener" träfen. Dass sie sich den Abend des Freundschaftsspiels zwischen Deutschland und Frankreich ausgesucht haben, zeigt, dass sie uns alle treffen wollten. Uns? Unwillkürlich habe ich dieses Wort verwendet. Doch so, wie mir Anfang des Jahres das "Je suis Charlie" im Hals steckenblieb, kann ich jetzt auch nicht "Je suis Paris" teilen - weil ich nicht in dieser Situation war, weil ich es, wie gesagt, nicht wirklich mitfühlen kann, obwohl ich mitfühle. Ja, natürlich ist das einfach eine Art der Solidaritätsbekundung, aber das sollte jeder auf die Art machen, mit der er sich wohlfühlt. Umgekehrt ist mir auch schon in einem Forum angedeutet worden, ich sei ein Heuchler, der mit dem Mitleidsstrom schwimmt, weil es gerade "in" ist. Solche Diskussionen, wie sie gerade online geführt werden, machen mich genauso fassungslos wie Oliver Kalkofe. Das ist der Opfer einfach nicht würdig.

Beten kann ich auch nicht für Paris, denn ich bete nicht. Ich kann Joann Sfar, den Karikaturisten von Charlie Hebdo, sehr gut verstehen mit seiner Botschaft. Bei allem Respekt vor dem ehrlichen Glauben mancher meiner Freunde, ich frage mich manchmal auch, ob die Welt ohne Religion als (vorgebliche) Begründung für Kriege besser dran wäre. Auf der anderen Seite geben Gebete vielen Menschen Kraft, um solch schwere Zeiten durchzustehen, und jede enthält eine Friedensbotschaft. Es gibt eben keine einfachen Antworten auf der Welt, wenigstens nicht auf die entscheidenden Fragen. Auch wenn die, die sie scheinbar liefern, gerade wieder populär werden. Auch wenn ich sie mir manchmal selbst wünschen würde. Aber da muss ich halt durch.

Donnerstag, 5. November 2015

DDR-Alltagsgeschichten aus Schwedt



Als das Publikum anfing, an den richtigen Stellen zu lachen, hat sich in meinem Innern ein richtiger Knoten gelöst. Gestern hab ich meine erste Lesung eines eigenen Werks erfolgreich über die Bühne gebracht: Weißt du noch? Mitten aus'm Schwedter DDR-Alltag. 

Zu jung, zugezogen, Wessi - kein Wunder, dass der Verlag am Anfang leichte Besorgnis anmeldete, ob ich die richtige Autorin für diesen Beitrag zu ihrer Serie wäre. Aber ein Telefongespräch und die Fürsprache des Stadtmuseums haben diese Zweifel ausgeräumt, und vor allem die ersten Leseproben. Monatelang war ich in der Stadt unterwegs und quetschte über 30 Interviewpartner zu den verschiedensten Lebensbereichen aus, durchstöberte Archiv und Chroniken, und am Ende hat Frau Dittberner noch die kleinen Fehlerchen korrigiert, die sich so einschlichen. Für Schwedter ist es so selbstverständlich, dass die Centra-Gaststätte "Schwarzer Panther" genannt wurde, wie sollte ich ahnen, dass das nicht zwei verschiedene Lokale waren?

Vergangene Woche hab ich mir dann so richtig schön den Rücken verramscht, als ich das Bücherpaket aus der Post zum Auto trug. Ich hätte mir den Lieferschein vorher ansehen sollen: 32 Kilo, danke schön. Aber das Gefühl, die Nase in das druckfrische Buch zu halten, hat alles wieder wett gemacht.



Das Manuskript hatte ich ja schon vor Monaten beim Verlag abgegeben und ganz aus den Augen verloren. Jetzt durchblättern und feststellen: Schön ist es geworden, das war toll. Auch wenn man gleich ein kleines schlechtes Gewissen hat: Ist das jetzt eitel? Nee, warum soll man sich nicht über eine gute Arbeit freuen, nur weil es die eigene ist?

Ruft der Kollege aus der Zeitungsredaktion an. "Hast du ne Minute?"
"Klar", sage ich und denke, er hat einen Auftrag für mich.
"Wie alt bist du eigentlich?"
Rausgekommen ist ein Artikel, der mich schon deswegen stolz macht, weil ein Einheimischer mir bescheinigt, den richtigen Ton getroffen zu haben. Die Gratwanderung ist mir gelungen, nicht in Ostalgie abzugleiten und zu beschönigen, aber eben doch die Menschen anzusprechen, die in diesem Land einfach auch gelebt haben und die zurecht nicht wollen, dass ihre Leistungen abgetan werden. Neben der Arbeit noch ein ganzes Waldbad zu bauen, ist für Laien kein Pappenstiel! Das moderne Krankenhaus, die Kitas...


Am Dienstag haben dann einige Passanten nicht schlecht geschaut, als ich für Uckermark-TV einen Sitzsack durch die Gegend schleifte und einfach so vor dem Kaufhaus anfing, laut vorzulesen. Natürlich war ich aufgeregt, aber zum Glück hat mich das nicht dran gehindert, zu lesen und im Interview rüberzubringen, was mir wichtig ist. Übung macht halt doch den Meister. Als ich zum ersten Mal für meinen Chor beim Frühlingskonzert Gedichte vortragen sollte, ging mir die Stimme weg. Jetzt bin ich sogar zur Moderatorin ernannt und hab mal einen Gottesdienst gehalten (andere, lange Geschichte), da weiß ich wenigstens, dass ich mich auf meine Stimme  verlassen kann.



Aber die ersten paar Minuten im Berlischky-Pavillon (tolle Akustik, hab ich schon beim Chorauftritt geliebt!) vergingen trotzdem ein bisschen wie im Nebel. Danke übrigens an Herrn Scheffler, dem ich meinen Fotoapparat in die Hand drücken durfte. Kleine Anekdoten lassen sich zum Glück recht leicht vorlesen, mit den passenden Bildern noch dabei, dass mich nicht alle anstarren. Wenn ich mal durcheinanderkam, trat ich die Flucht nach vor an - "Oh, da hab ich mich gerade verhaspelt, ah, hier geht's weiter" - und das Lachen war freundlich. Ein paar meiner Interviewpartner waren da und drückten mir am Ende warm die Hand, das ist das schönste Lob, dass sie sich in dem Buch wiederfinden.

Mal sehen, wie das wird, wenn ich erstmal ein komplett fiktionales Werk in Händen halte. Der Vertrag für meinen Vampirroman ist ja schon unterschrieben. Das Genre ist immer noch nicht ausgelutscht in meinen Augen, höhö.