Warum berichtet der Spiegel nicht mal über normale Menschen, die zum Islam konvertiert sind, sondern immer nur über die, die fanatisch für die IS in den Krieg ziehen wollen? Die Frage hat ein Anrufer der Redaktion gestellt.
„Was
ist denn Ihre Geschichte?“, fragt ihn der Journalist.
„Ich
bin ein ganz normaler Typ.“
„Dann
können wir es auch nicht drucken.“
Die
Anekdote erzählt mir ein Bekannter, der seit fünf Jahren und einem Monat Moslem
ist. „Das ist das Problem“, sagt er. „In den Medien verkauft sich nur, was
spannend ist. Und da ist ein 19-Jähriger, der sich eine Kalaschnikow schnappt,
interessanter, als die Konvertiten, die gar nicht auffallen.“
Deshalb
möchte ich in diesem Blog mal seine Geschichte erzählen: Warum hat ihn der
islamische Glaube überzeugt? Wie geht er im Alltag damit um? Was denken er und
seine Gemeinde über die IS?
Du erzählst nur wenigen Leuten, dass du
Moslem bist, und möchtest dieses Interview anonym führen. Warum?
Christen
rennen auch nicht den ganzen Tag durch die Straße und sagen jedem, dass sie
Christen sind – außer, sie missionieren gerade. Im Alltag kommt man einfach
nicht dazu, das zu thematisieren. Auf der Arbeit weiß niemand von meinem
Glauben. Mein Chef ist ein sehr offener Mensch, der hätte wohl Verständnis.
Aber ich weiß nicht, wie andere Kollegen reagieren würden. Die Stimmung beim
Thema Muslime war in Deutschland nie besonders gut. Seit dem 11. September und
jetzt seit ein, zwei Jahren ist die öffentliche Meinung so negativ, dass ich
besser nichts sage.
Aber fällt es nicht auf, wenn zum
Beispiel Ramadan ist?
Wenn
mich Kollegen mit in die Kantine nehmen wollen, sage ich einfach, dass ich
später esse. Bisher ist es noch niemandem aufgefallen. Wenn ich bete, schließe
ich für fünf Minuten das Büro ab. Beim Einkaufen schaue ich mir die Verpackung
genau an, ob keine Gelatine drin ist. Aber da bin ich nicht paranoider als
jeder Vegetarier.
Was ist mit deiner Familie?
Im
Familien- und Freundeskreis weiß es eigentlich jeder.
Was haben deine Eltern gesagt, als du
konvertiert bist?
In
meiner Verwandtschaft gibt es viele christliche Strömungen: Katholiken,
Methodisten, Lutheraner, Baptisten, Freikirchen. Mein Vater gehört einer
kleinen christlichen Gemeinde an, meine Mutter ist nicht religiös. Ich wurde
nicht getauft und konnte mir immer aussuchen, ob ich in den Gottesdienst gehen
will oder daheim bleiben. So war ich völlig frei, meinen eigenen Weg zu gehen.
Als ich meinem Vater erzählt habe, dass ich Moslem bin, hat er sich gefreut:
„Schön, dass du auch an Gott glaubst.“ Meine Mutter hatte mehr Probleme, das zu
verstehen. Beide haben sich Bücher geholt, um sich über die Religion zu
informieren, und ich habe sie zu Moschee-Führungen und Konzerten mit
islamischer Musik mitgenommen.
Wie bist du überhaupt auf den Islam
gekommen?
Schon
als Jugendlicher im Schulunterricht dachte ich, von allen Religionen ist der
Islam die logischste.
Die logischste? Was hat Religion mit
Logik zu tun?
Bei
den Christen gibt es die Dreifaltigkeit und die Erbsünde, was ich nie
akzeptieren konnte. Der Koran ist einfacher mit den Naturwissenschaften
zu vereinbaren. Zum
Beispiel wird beschrieben, dass sich der Mensch im Körper der Frau aus einem
Samen entwickelt. Mohammed war ein Analphabet und ein Händler, woher konnte er
das wissen?
Vor allem vor fast 1500 Jahren. Warum
bist du dann erst später konvertiert?
Das
war damals nur so ein Gedanke, aber ich habe nicht wirklich daran geglaubt. Ich
hatte das Vorurteil, dass Islam etwas von und für Ausländer ist, eine Religion
für Türken und Araber. Später habe ich andere Länder bereist und gesehen, wie
Christen, Juden und Muslime zusammenleben – und sie sahen alle gleich aus, zum
Beispiel im Balkan. Da habe ich angefangen, mich nicht nur intellektuell mit
dem Islam auseinanderzusetzen, sondern auch spirituell. Aber es war eine lange
Entscheidungsphase, über ein Jahr.
Warum so lange?
Um
Muslim zu werden, musst du dich nicht taufen lassen oder Schulungen besuchen.
Du musst nur zwei Dinge sagen: Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah
gibt und Mohammed Sein Diener und Gesandter ist. Den ersten Teil hätte ich
früher sagen können, denn ich glaube an einen monotheistischen Gott. Doch der
zweite Teil, da musste ich erst mal nachdenken, was das für mich bedeutet.
Nur die zwei Sätze? Was ist mit den
Regeln, dem Fasten und Beten?
Da
steht kein bärtiger Mann hinter dir und passt auf, dass du alles richtig
machst. Du könntest dich irgendwie durchwurschteln. Ich habe noch ein halbes
Jahr lang Alkohol getrunken, später hatte ich einfach kein Bedürfnis mehr. Ich
halte nur die Regeln ein, die mich überzeugen.
Gibt es welche, die dich nicht
überzeugen?
Wenn
man manche Strafgesetze aus dem Koran wörtlich nimmt, sind sie sehr hart. Ich
denke, da muss man den Kontext beachten.
Zum Beispiel?
Eine
muslimische Freundin von mir trägt in Deutschland kein Kopftuch. Der
Hintergrund ist, dass im Koran steht, Frauen und Männer sollen sich bescheiden
und unauffällig kleiden. Männer sollen zum Beispiel keine Seide und keinen
Goldschmuck tragen, weil das protzig ist. Deshalb ist mein Ehering aus Silber.
Also, meine Freundin argumentiert: Wenn ich in Deutschland ein Kopftuch trage,
starren mich alle an. Damit verfehlt die Regel ihren Sinn. Das meine ich mit
Kontext.
Was
bedeutet der Glaube für dich?
Das
lustige ist, dass ich mich gar nicht als besonders religiös sehe. Nicht jeder,
der zum Islam konvertiert ist automatisch besonders eifrig! Für mich fühlt sich
das islamische Gebet in der Gruppe einfach als die richtige Art zu beten an,
und das gibt mir Halt. Es gibt auch eine muslimische Art zu meditieren, Dhikr,
ähnlich einem Rosenkranz. Das brauche ich einmal im Monat um die Batterien
aufzuladen. Allgemein ist im Islam die Ausübung der Religion fast wichtiger als
die Inhalte des Glaubens, wodurch der Islam mehr mit dem Judentum gemeinsam hat
als mit dem Christentum.
Welcher Strömung gehörst du an?
Das
wird oft als Volksislam bezeichnet, so wie die türkische Oma, die nebenbei aus
Teeblättern wahrsagt. Ich habe Kontakte in die mystische Richtung, zu den
Sufis.
Wirst du manchmal komisch angeschaut,
wenn du in eine Moschee gehst?
Selbst
in ethnisch getrennten Moscheen kannst du beten und wirst in Ruhe gelassen.
Moscheen sind anders als Kirchen, sie sind nicht geweiht. Alles ist sehr
pragmatisch: Es gibt Teppiche auf dem Boden, weil es bequemer ist, wenn du dich
auf die Knie wirfst. Du ziehst die Schuhe aus, damit du den Teppich nicht
schmutzig machst. Unter der Kuppel verteilt sich der Schall besser. Du darfst
jeden Zentimeter betreten, es gibt keine abgesperrten Bereiche. Ich habe einmal
eine Moscheeführung für eine Schulklasse gemacht, die hatten uns im Zuge ihres
evangelischen Religionsunterrichts besucht. Die Kinder waren enttäuscht, weil
es gar nichts Mystisches und Verborgenes gab.
Wie hast du in deiner Stadt die Gemeinde
gefunden?
Als
ich hierhergezogen war, habe ich einfach ein paar Araber auf der Straße
gefragt, wo es eine Moschee gibt. Die haben mir die Privatwohnung gezeigt, in
der die Treffen abgehalten werden. Ich wohne in einer kleinen Stadt, wo die
meisten Muslime Flüchtlinge sind. Da kommen viele verschiedene Menschen an, die
nicht einmal die gleiche Sprache sprechen. Da fragt man nicht, welcher Strömung
sie angehören. Die Predigt ist auf Arabisch und meistens zu allgemein
erbaulichen Themen, nicht über Politik.
IS ist gar kein Thema?
Doch,
tatsächlich hatten wir gerade eine Predigt auf Englisch, wo es um IS ging. Der
Mann hat erklärt, dass sie vieles tun, was im Islam verboten ist. Im Koran
stehst, du sollst andere Menschen, gerade Christen und Juden, mit Respekt
behandeln. Du sollst niemanden mit deinem Gebet stören oder öffentlich zu
Demonstrationszwecken beten. Du darfst keine Zivilisten töten, keine Alten,
Frauen und Kinder angreifen. Dass die sich als Kalifat bezeichnen, das ist so,
als würde sich jemand selbst zum Papst ausrufen. Er ist sogar so weit gegangen
zu sagen, das sind keine Muslime. Da wäre ich vorsichtig.
Warum?
Nur
Gott weiß, wer an ihn glaubt und wer nicht. Aber eins ist klar: Das sind
Verbrecher, die sich nicht an den muslimischen Glauben halten.
Sagen das nur Mitglieder der gemäßigten
Strömungen?
Nein,
alle islamischen Verbände haben deutlich Stellung gegen IS bezogen. In einer
konservativen Moschee, die ich im Sommer in Berlin besucht habe, hat ein
Prediger gesagt: „Über IS rede ich nicht, ein heiliger Ort wie die Moschee ist
es nicht wert, ein Wort über sie zu verlieren.“
Sind dir mal Extremisten begegnet?
Wenn
mir ein Erwachsener sagen würde, er ist Anhänger der IS, würde ich die Polizei
rufen. Bei einem Jugendlichen ist es schwieriger, weil das vielleicht nur Trotz
ist oder Provokation. Da würde ich vielleicht erstmal versuchen, über die
Gemeinde Einfluss auf ihn zu nehmen. Ruft man gleich die Polizei, kommt er sich
wie ein Opfer vor. Zum Glück war ich noch nicht in so einer Situation. Aber ich
habe mich schon mit Salafisten unterhalten, um zu schauen, wie die ticken. Sie
haben mich sogar in ihre Moschee eingeladen.
Warst du da?
Ja,
aber es ging in der Predigt nur um ein allgemeines Thema. Später habe ich
versucht, einem Journalisten ein paar Interviewpartner aus der Gemeinde zu
vermitteln. Deshalb habe ich dort jetzt Hausverbot, weil ich angeblich zu
kritische Fragen gestellt hab. Das erzähl ich mit Stolz: Bei den Salafisten
habe ich Hausverbot. Aber ich habe mir mal einen Vortrag von Pierre Vogel
angehört.
Pierre Vogel ist ein Konvertit, der oft
als Hassprediger bezeichnet wird und zu einem salafistischen Verein gehörte,
den der Verfassungsschutz auflösen ließ.
Als
ich zum ersten Mal ein Youtube-Video von ihm sah, dachte ich, das ist ein
Kölner Karnevalist, der den Islam veräppelt. So radikal kann keiner sein! Es
war interessant, ihn live zu sehen, aber ich hatte auch Angst, dass die
Salafisten um mich herum erkennen, dass ich nicht zu ihnen gehöre. Er hat
Charisma und kann auch lustig sein – das ist besonders beunruhigend. Das
brauche ich nicht nochmal. Ich habe ihn aber ein zweites Mal gesehen, bei
meiner Haddsch an einer Tankstelle in Medina.
Du hast also schon die Pilgerfahrt nach
Mekka gemacht, die jeder Muslim einmal im Leben unternehmen sollte. Wie war
das?
Mekka
selbst ist eine hässliche Stadt. Es gibt viel Dreck, viele Autos und die Luft
staut sich in diesem Tal. Ich bin körperlich weit über meine Grenzen gegangen.
Aber es war ein besonderes Erlebnis.
Was war das Besondere?
Dort
sind so viele Menschen, dass es der einzige Ort ist, wo Männer und Frauen
gemeinsam beten. Ich bin mit meiner Frau händchenhaltend durch die Stadt
gelaufen. Das ist so eine Reise, wo du hinterher kaum glauben kannst, dass du
sie wirklich gemacht hast. Es war so abgefahren! Millionen Menschen sind auf
diesem Platz, aber alle sind absolut ruhig.
Hat dich die Reise verändert?
Ich
weiß nicht, ob das viel mit mir gemacht hat. Es heißt, viele Muslime werden
durch die Haddsch offener und toleranter, weil sie dort so viele Menschen aus verschiedensten
Ländern treffen.