Dienstag, 11. November 2014

Glaube, Vorurteile, IS: ein konvertierter Moslem erzählt


Warum berichtet der Spiegel nicht mal über normale Menschen, die zum Islam konvertiert sind, sondern immer nur über die, die fanatisch für die IS in den Krieg ziehen wollen? Die Frage hat ein Anrufer der Redaktion gestellt.
„Was ist denn Ihre Geschichte?“, fragt ihn der Journalist.
„Ich bin ein ganz normaler Typ.“
„Dann können wir es auch nicht drucken.“
Die Anekdote erzählt mir ein Bekannter, der seit fünf Jahren und einem Monat Moslem ist. „Das ist das Problem“, sagt er. „In den Medien verkauft sich nur, was spannend ist. Und da ist ein 19-Jähriger, der sich eine Kalaschnikow schnappt, interessanter, als die Konvertiten, die gar nicht auffallen.“
Deshalb möchte ich in diesem Blog mal seine Geschichte erzählen: Warum hat ihn der islamische Glaube überzeugt? Wie geht er im Alltag damit um? Was denken er und seine Gemeinde über die IS?

Du erzählst nur wenigen Leuten, dass du Moslem bist, und möchtest dieses Interview anonym führen. Warum?
Christen rennen auch nicht den ganzen Tag durch die Straße und sagen jedem, dass sie Christen sind – außer, sie missionieren gerade. Im Alltag kommt man einfach nicht dazu, das zu thematisieren. Auf der Arbeit weiß niemand von meinem Glauben. Mein Chef ist ein sehr offener Mensch, der hätte wohl Verständnis. Aber ich weiß nicht, wie andere Kollegen reagieren würden. Die Stimmung beim Thema Muslime war in Deutschland nie besonders gut. Seit dem 11. September und jetzt seit ein, zwei Jahren ist die öffentliche Meinung so negativ, dass ich besser nichts sage.

Aber fällt es nicht auf, wenn zum Beispiel Ramadan ist?
Wenn mich Kollegen mit in die Kantine nehmen wollen, sage ich einfach, dass ich später esse. Bisher ist es noch niemandem aufgefallen. Wenn ich bete, schließe ich für fünf Minuten das Büro ab. Beim Einkaufen schaue ich mir die Verpackung genau an, ob keine Gelatine drin ist. Aber da bin ich nicht paranoider als jeder Vegetarier.

Was ist mit deiner Familie?
Im Familien- und Freundeskreis weiß es eigentlich jeder.

Was haben deine Eltern gesagt, als du konvertiert bist?
In meiner Verwandtschaft gibt es viele christliche Strömungen: Katholiken, Methodisten, Lutheraner, Baptisten, Freikirchen. Mein Vater gehört einer kleinen christlichen Gemeinde an, meine Mutter ist nicht religiös. Ich wurde nicht getauft und konnte mir immer aussuchen, ob ich in den Gottesdienst gehen will oder daheim bleiben. So war ich völlig frei, meinen eigenen Weg zu gehen. Als ich meinem Vater erzählt habe, dass ich Moslem bin, hat er sich gefreut: „Schön, dass du auch an Gott glaubst.“ Meine Mutter hatte mehr Probleme, das zu verstehen. Beide haben sich Bücher geholt, um sich über die Religion zu informieren, und ich habe sie zu Moschee-Führungen und Konzerten mit islamischer Musik mitgenommen.

Wie bist du überhaupt auf den Islam gekommen?
Schon als Jugendlicher im Schulunterricht dachte ich, von allen Religionen ist der Islam die logischste.

Die logischste? Was hat Religion mit Logik zu tun?
Bei den Christen gibt es die Dreifaltigkeit und die Erbsünde, was ich nie akzeptieren konnte. Der Koran ist einfacher mit den Naturwissenschaften zu vereinbaren. Zum Beispiel wird beschrieben, dass sich der Mensch im Körper der Frau aus einem Samen entwickelt. Mohammed war ein Analphabet und ein Händler, woher konnte er das wissen?

Vor allem vor fast 1500 Jahren. Warum bist du dann erst später konvertiert?
Das war damals nur so ein Gedanke, aber ich habe nicht wirklich daran geglaubt. Ich hatte das Vorurteil, dass Islam etwas von und für Ausländer ist, eine Religion für Türken und Araber. Später habe ich andere Länder bereist und gesehen, wie Christen, Juden und Muslime zusammenleben – und sie sahen alle gleich aus, zum Beispiel im Balkan. Da habe ich angefangen, mich nicht nur intellektuell mit dem Islam auseinanderzusetzen, sondern auch spirituell. Aber es war eine lange Entscheidungsphase, über ein Jahr.

Warum so lange?
Um Muslim zu werden, musst du dich nicht taufen lassen oder Schulungen besuchen. Du musst nur zwei Dinge sagen: Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt und Mohammed Sein Diener und Gesandter ist. Den ersten Teil hätte ich früher sagen können, denn ich glaube an einen monotheistischen Gott. Doch der zweite Teil, da musste ich erst mal nachdenken, was das für mich bedeutet.

Nur die zwei Sätze? Was ist mit den Regeln, dem Fasten und Beten?
Da steht kein bärtiger Mann hinter dir und passt auf, dass du alles richtig machst. Du könntest dich irgendwie durchwurschteln. Ich habe noch ein halbes Jahr lang Alkohol getrunken, später hatte ich einfach kein Bedürfnis mehr. Ich halte nur die Regeln ein, die mich überzeugen.

Gibt es welche, die dich nicht überzeugen?
Wenn man manche Strafgesetze aus dem Koran wörtlich nimmt, sind sie sehr hart. Ich denke, da muss man den Kontext beachten.

Zum Beispiel?
Eine muslimische Freundin von mir trägt in Deutschland kein Kopftuch. Der Hintergrund ist, dass im Koran steht, Frauen und Männer sollen sich bescheiden und unauffällig kleiden. Männer sollen zum Beispiel keine Seide und keinen Goldschmuck tragen, weil das protzig ist. Deshalb ist mein Ehering aus Silber. Also, meine Freundin argumentiert: Wenn ich in Deutschland ein Kopftuch trage, starren mich alle an. Damit verfehlt die Regel ihren Sinn. Das meine ich mit Kontext.

Was bedeutet der Glaube für dich?
Das lustige ist, dass ich mich gar nicht als besonders religiös sehe. Nicht jeder, der zum Islam konvertiert ist automatisch besonders eifrig! Für mich fühlt sich das islamische Gebet in der Gruppe einfach als die richtige Art zu beten an, und das gibt mir Halt. Es gibt auch eine muslimische Art zu meditieren, Dhikr, ähnlich einem Rosenkranz. Das brauche ich einmal im Monat um die Batterien aufzuladen. Allgemein ist im Islam die Ausübung der Religion fast wichtiger als die Inhalte des Glaubens, wodurch der Islam mehr mit dem Judentum gemeinsam hat als mit dem Christentum.

Welcher Strömung gehörst du an?
Das wird oft als Volksislam bezeichnet, so wie die türkische Oma, die nebenbei aus Teeblättern wahrsagt. Ich habe Kontakte in die mystische Richtung, zu den Sufis.

Wirst du manchmal komisch angeschaut, wenn du in eine Moschee gehst?
Selbst in ethnisch getrennten Moscheen kannst du beten und wirst in Ruhe gelassen. Moscheen sind anders als Kirchen, sie sind nicht geweiht. Alles ist sehr pragmatisch: Es gibt Teppiche auf dem Boden, weil es bequemer ist, wenn du dich auf die Knie wirfst. Du ziehst die Schuhe aus, damit du den Teppich nicht schmutzig machst. Unter der Kuppel verteilt sich der Schall besser. Du darfst jeden Zentimeter betreten, es gibt keine abgesperrten Bereiche. Ich habe einmal eine Moscheeführung für eine Schulklasse gemacht, die hatten uns im Zuge ihres evangelischen Religionsunterrichts besucht. Die Kinder waren enttäuscht, weil es gar nichts Mystisches und Verborgenes gab.

Wie hast du in deiner Stadt die Gemeinde gefunden?
Als ich hierhergezogen war, habe ich einfach ein paar Araber auf der Straße gefragt, wo es eine Moschee gibt. Die haben mir die Privatwohnung gezeigt, in der die Treffen abgehalten werden. Ich wohne in einer kleinen Stadt, wo die meisten Muslime Flüchtlinge sind. Da kommen viele verschiedene Menschen an, die nicht einmal die gleiche Sprache sprechen. Da fragt man nicht, welcher Strömung sie angehören. Die Predigt ist auf Arabisch und meistens zu allgemein erbaulichen Themen, nicht über Politik.

IS ist gar kein Thema?
Doch, tatsächlich hatten wir gerade eine Predigt auf Englisch, wo es um IS ging. Der Mann hat erklärt, dass sie vieles tun, was im Islam verboten ist. Im Koran stehst, du sollst andere Menschen, gerade Christen und Juden, mit Respekt behandeln. Du sollst niemanden mit deinem Gebet stören oder öffentlich zu Demonstrationszwecken beten. Du darfst keine Zivilisten töten, keine Alten, Frauen und Kinder angreifen. Dass die sich als Kalifat bezeichnen, das ist so, als würde sich jemand selbst zum Papst ausrufen. Er ist sogar so weit gegangen zu sagen, das sind keine Muslime. Da wäre ich vorsichtig.

Warum?
Nur Gott weiß, wer an ihn glaubt und wer nicht. Aber eins ist klar: Das sind Verbrecher, die sich nicht an den muslimischen Glauben halten.

Sagen das nur Mitglieder der gemäßigten Strömungen?
Nein, alle islamischen Verbände haben deutlich Stellung gegen IS bezogen. In einer konservativen Moschee, die ich im Sommer in Berlin besucht habe, hat ein Prediger gesagt: „Über IS rede ich nicht, ein heiliger Ort wie die Moschee ist es nicht wert, ein Wort über sie zu verlieren.“

Sind dir mal Extremisten begegnet?
Wenn mir ein Erwachsener sagen würde, er ist Anhänger der IS, würde ich die Polizei rufen. Bei einem Jugendlichen ist es schwieriger, weil das vielleicht nur Trotz ist oder Provokation. Da würde ich vielleicht erstmal versuchen, über die Gemeinde Einfluss auf ihn zu nehmen. Ruft man gleich die Polizei, kommt er sich wie ein Opfer vor. Zum Glück war ich noch nicht in so einer Situation. Aber ich habe mich schon mit Salafisten unterhalten, um zu schauen, wie die ticken. Sie haben mich sogar in ihre Moschee eingeladen.

Warst du da?
Ja, aber es ging in der Predigt nur um ein allgemeines Thema. Später habe ich versucht, einem Journalisten ein paar Interviewpartner aus der Gemeinde zu vermitteln. Deshalb habe ich dort jetzt Hausverbot, weil ich angeblich zu kritische Fragen gestellt hab. Das erzähl ich mit Stolz: Bei den Salafisten habe ich Hausverbot. Aber ich habe mir mal einen Vortrag von Pierre Vogel angehört.

Pierre Vogel ist ein Konvertit, der oft als Hassprediger bezeichnet wird und zu einem salafistischen Verein gehörte, den der Verfassungsschutz auflösen ließ.
Als ich zum ersten Mal ein Youtube-Video von ihm sah, dachte ich, das ist ein Kölner Karnevalist, der den Islam veräppelt. So radikal kann keiner sein! Es war interessant, ihn live zu sehen, aber ich hatte auch Angst, dass die Salafisten um mich herum erkennen, dass ich nicht zu ihnen gehöre. Er hat Charisma und kann auch lustig sein – das ist besonders beunruhigend. Das brauche ich nicht nochmal. Ich habe ihn aber ein zweites Mal gesehen, bei meiner Haddsch an einer Tankstelle in Medina.

Du hast also schon die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht, die jeder Muslim einmal im Leben unternehmen sollte. Wie war das?
Mekka selbst ist eine hässliche Stadt. Es gibt viel Dreck, viele Autos und die Luft staut sich in diesem Tal. Ich bin körperlich weit über meine Grenzen gegangen. Aber es war ein besonderes Erlebnis.

Was war das Besondere?
Dort sind so viele Menschen, dass es der einzige Ort ist, wo Männer und Frauen gemeinsam beten. Ich bin mit meiner Frau händchenhaltend durch die Stadt gelaufen. Das ist so eine Reise, wo du hinterher kaum glauben kannst, dass du sie wirklich gemacht hast. Es war so abgefahren! Millionen Menschen sind auf diesem Platz, aber alle sind absolut ruhig.

Hat dich die Reise verändert?
Ich weiß nicht, ob das viel mit mir gemacht hat. Es heißt, viele Muslime werden durch die Haddsch offener und toleranter, weil sie dort so viele Menschen aus verschiedensten Ländern treffen.