Montag, 1. August 2016

Aus dem Nest geschüttelt

Als ich mit diesem Blog anfing, hatte ich gar nicht vor, zu viel über meine persönlichen Befindlichkeiten zu schreiben. Eigentlich sollte es mehr um Gemeinsamkeiten statt Unterschiede zwischen Ost und West gehen, zwischen Religionen und Ländern, Kleinigkeiten, die mir bei meinen Reisen aufgefallen sind, am besten humorvoll verpackt. Aber in diesem Jahr bin ich zwangsläufig auf mich selbst zurückgeworfen worden und immer noch damit beschäftigt, mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Die weiteste Reise, die ich unternommen habe, war an den Sueskanal. Nicht den in Ägypten, sondern bei Lehde im Spreewald, wo ich zur Reha war.


Bitte die Beschilderung beachten
Deshalb hat mein Blog seit Mai geruht. Dabei überschreite ich momentan ständig Grenzen, wenn auch mehr persönlicher und innerer Art. Die Schmerzgrenze hängt zum Glück wieder ein ganzes Eckchen höher, seit ich mich durch das Reha-Programm gequält habe. Der innere Schweinehund wird gerade schwer getreten. Für jeden Tag Sport gibt es halt keine Alternative mehr, wenn ein Stück Bandscheibe fehlt.

Aber so aus dem Nest geschüttelt zu werden, tut auch gut: Man hat Zeit, sich umzusehen und neu zu überlegen. Mir ist aufgefallen - natürlich im Nachhinein -, dass ich schon wieder dabei war, mir mein eigenes Hamsterrad zu basteln, aus dem ich mit der Selbstständigkeit entkommen zu sein glaubte. Ein ganzes Jahr lang fast jeden Tag zwischen acht und zwölf Stunden und länger am Schreibtisch sitzen, um alles in Gang zu bringen - kein Wunder, dass der Rücken irgendwann streikt. "Die Franzosen arbeiten, um zu leben, die Deutschen leben, um zu arbeiten", sagt der Volksmund. Eine Umfrage vom Januar zeigt zwar ein anderes Bild, aber was wir sagen und wie wir uns verhalten, sind oft zwei verschiedene Dinge. Ich habe mit meiner Selbständigkeit einen Schritt in die Richtung Selbstverwirklichung getan, aber alte Gewohnheiten sind schwer abzulegen. Gerade dass ich meine Arbeit so sehr liebe, birgt die Gefahr, dass ich ihr alles andere unterordne. Ich mache keinen Urlaub, ich nehme mir keine freien Wochenenden, ich schalte abends nicht ab. 

Jetzt zwingt mich das Piksen und Ziehen im Rücken dazu, spätestens nach einer Stunde am Schreibtisch eine Pause einzulegen, Gymnastik zu machen, zu laufen, zu schwimmen, radzufahren, mich mal in die Badewanne oder aufs Sofa zu legen. Und auf einmal habe ich eine Balance, die mich am Ende des Tages zufriedener macht. Natürlich schaffe ich auf diese Art nicht mehr das Arbeitspensum von früher. Aber brauche ich das überhaupt? Kann man nicht auf ein wenig Geld verzichten für die Lebensqualität? Mit mehr Pausen bin ich in der Zeit, in der ich am Schreibtisch sitze, dafür umso konzentrierter. Ich erlebe momentan alles viel bewusster, immer wieder aufs Neue erstaunt, dass ich ganz einfache Dinge (einen Stift vom Boden aufheben!) wieder kann, die ein halbes Jahr unmöglich erschienen, und freue mich darüber. 

Und meine Plotbunnys laufen Amok. Den Zusammenhang zwischen Entspannung und Kreativität hat eine Mitarbeiterin des psychologischen Dienstes der Reha-Klinik in einem Vortrag erklärt: Im entspannten Zustand wird die kreative Gehirnhälfte richtig munter. Das lässt sich sogar nachweisen, wenn man die Gehirnströme misst. "Kreatives Dösen" ist also ein fester Punkt auf meinem Tagesplan. Mit dem Ergebnis, dass mir drei neue Buchideen im Kopf rumspuken, sogar aus einem Genre, das ich noch nie geschrieben habe (und jetzt noch nicht verrate). 

Ich hoffe wirklich sehr, dass ich es schaffe, dieses Gefühl festzuhalten. Denn diese ganzen Erkenntnisse mögen noch so banal sein und altbacken - zu wissen, dass man sein Leben selbst in der Hand hat, ist eine Sache. Es zu fühlen, zu be-greifen, ist nicht selbstverständlich. Und ich hoffe, dass ich dieses Gefühl mit euch teilen kann. Ein bisschen am Nestrand rütteln, sozusagen.

Mittwoch, 11. Mai 2016

Gesund werden - Was mir gut tut



Heute, eine Woche nach meiner Bandscheiben-OP, habe ich mit meiner Mama einen Spaziergang im Criewener Lenné-Park gemacht. Und Eis gegessen. Ich fassees selbst nicht ganz , dass ich das schon wieder kann nach dem, was da an meiner Wirbelsäule rumgebastelt wurde. Doktor Gonzalez ist nicht nur ein toller Chirurg, er hat sich auch noch die Zeit genommen, mir ein paar sanfte Tai-Chi-Übungen zu zeigen und wie man richtig im Bett auf der Seite liegt. Trotz aller Besserung muss ich immer noch viel ausruhen, bloß nicht übermütig werden, die goldene Mitte treffen zwischen Bewegen und Heilen.

Das heißt also auch, mir was Gutes tun, an mich denken. Krankheit macht einen recht egoistisch, es tut mir leid, dass ich in diesem Jahr nicht die aufmerksame Freundin sein konnte, die ich sonst gerne sein möchte. Aber es ist auch mal schön, richtig verwöhnt zu werden. Und mir ist aufgefallen, dass ich bescheidener geworden bin, mich über Kleinigkeiten freuen kann, die mir vorher vielleicht zu selbstverständlich waren. Ein paar davon habe ich in meinen Gute-Laune-Kalender geschrieben. Jeden Abend muss ich etwas finden, das mich glücklich gemacht hat, egal, wie furchtbar der Tag oder wie schlecht gelaunt ich sonst war. Dass das ein Konzept aus der Psychotherapie ist, hab ich erst später erfahren, mir kam die Idee von einem meiner früheren Lieblingsbücher, in dem der Adoptivvater seine Tochter jeden Abend auffordert, ihm drei schöne Dinge zu nennen, die sie tagsüber gesehen hat. Später in diesem Kalender zu blättern, heitert mich genauso auf wie andere ihr Happy-Glas (auch eine tolle Strategie).

Was mich im Moment glücklich macht:
- Keine Schmerzen. Das sind im aufrechten Zustand nur ein paar Minuten, aber jeden Tag sind es mehr. Und ich schlafe wieder gut.
- Mein Bett! Das beste Bett der Welt, auch wenn es schon 18 Jahre alt ist und keine ergonomisch-schlagmichtot-Matratze hat.
- Sonne, die in mein Wohnzimmer fällt und mich wärmt.
- Barfuß sein. Kompressionsstrümpfe sind notwendig, aber die Pest, und es ist herrlich warm gerade - aber nicht zu warm.
- Der Duft nach frisch gemähtem Gras und Blüten. Der Frühling legt mit aller Kraft los und gibt  mir Auftrieb.


- Liebe Menschen: Familie und Freunde, die sich um mich sorgen und mir beistehen. Die sollten eigentlich an erster Stelle stehen, aber ich wollte absichtlich mit den Kleinigkeiten anfangen.
- Jetzt folgt das Zeug, das etwas mehr Geld braucht: Internetanschluss. So komme ich nämlich zu Youtube mit den ganzen schönen Nerd-Kanälen und zu meinem lieben Schreibnacht-Chat. Der Runde hab ich es zu verdanken, dass ich für mehrere Projekte neue Musik entdeckt habe, die mir sogar in meiner jetzigen Situation hilft.
- Schreiben, schreiben und immer wieder schreiben. Freitag ist wieder Schreibnacht. Am 13.! Das kann nur Glück bedeuten.

Montag, 18. April 2016

Schreiben ist Medizin oder: Hurra, mein Buch ist fertig

Stilecht stoße ich mit einem Eichstätt-Schnapsbecher auf das Buchende an

Ich hab lange überlegt, ob ich diesen Beitrag schreiben soll. Weil es mir schwer fällt, zuzugeben, wenn es mir mal nicht so gut geht. Aber die Alternative wäre, den Blog Woche um Woche verwaisen zu lassen. Und da der (sogenannte) Kinderfilm "Alles steht Kopf" gerade so anschaulich gemacht hat, dass wir nicht immer die Sonnenscheinchen sein müssen, möchte ich über das schreiben, was mich in diesen Wochen so beschäftigt - und was mich rettet.

Was ich nämlich in meinem ersten Blogeintrag des Jahres so lapidar als Hexenschuss bezeichnet habe, hat sich leider als ausgewachsener Bandscheibenvorfall entpuppt, auch genannt: "Was? In Ihrem Alter?" Nach drei Monaten erfolglosen Therapieversuchen muss jetzt wahrscheinlich doch operiert werden. Ich habe also viele Tage auf meinem Sofa verbracht und mit Schmerzen, kann momentan zwar jede Bewegung ausführen, aber nie sehr lange, mehr als eine halbe Stunde am Stück in aufrechter Position ist purer Stress für den ganzen Körper. Das ist sehr frustrierend und an manchen Tagen bleibe ich einfach gleich liegen und kann mich zu gar nichts aufraffen, weil es mir sinnlos erscheint. Existenzängste, dass mir sowas im zweiten Jahr meiner Selbständigkeit passiert, wo man doch nach der alten Formel drei Jahre braucht, um sich zu etablieren, kommen noch dazu. Gleichzeitig schelte ich mich dafür, so rumzujammern (und wenn auch meistens nur vor mir selbst - hoffe ich), weil es anderen Menschen viel schlechter geht. 

Zum Glück halten diese Depri-Attacken nicht zu lange an. Und selbst, wenn sie da sind, kann ich immer noch eines tun: schreiben. Gerade erst hat sich Harald Martenstein im "Zeit Magazin" geoutet, solch "dunkle Stunden" zu kennen, und sagt über das Schreiben als das einzige Verlässliche: "Es gibt diese eine Zone, in der du dich gut auszukennen glaubst, in der du dein Leben im Griff hast und wo dir nicht mal die Angst etwas anhaben kann. Wenn ich glaube, etwas Gutes geschrieben zu haben, bin ich eine Stunde lang zufrieden, richtig zufrieden". Sein letzter Satz ist: "Und dann geht alles wieder von vorne los." So schlimm ist es bei mir nicht, aber es sind wirklich immer die gleichen destuktiven Gedanken, die sich in den Kopf zurückschleichen, sobald ich nicht aufpasse.

"Schreiben ist Hühnersuppe für die Seele" ist ein anderer Spruch, den ich sehr mag. Wenn ich in der Überschrift Schreiben als Medizin bezeichne, meine ich gar nicht mal das "expressive Schreiben" als Heilmethode aus der Verhaltenstherapie. Davon hab ich keine Ahnung. Und ich weiß auch nicht, ob ich meine jetzige Situation unbewusst in meinem Vampirroman verarbeitet habe. Der war eigentlich von Vorneherein so blutig geplant, um sich von gewissen Romantasies abzugrenzen. Zum einen habe ich so viel geschrieben, weil das im Gegensatz zum Arbeiten am Computer super im Liegen funktioniert (ja, ich meine tatsächlich handschriftlich!). Zum anderen konnte ich vollkommen in meiner Geschichte verschwinden, mir keine Sorgen mehr machen um Andrea, sondern nur um Martin und wie er mit seiner neuen Daseinsforn klarkommt.


Zu hübsch darf das Notizbuch gar nicht sein, sonst traue ich mich nicht, reinzuschreiben

Sehr nützlich war mir dabei mal wieder das Schreibnacht-Forum, vor allem meine lieben "Anonymen Chatter", mit denen ich mich über die Charaktere austauschen und sie weiter vertiefen konnte. Die schwerste Phase war jetzt das Abtippen, weil ich dafür wieder aufrecht stehen musste, aber es stand ja niemand mit der Stoppuhr hinter mir. Gestern Abend habe ich endlich die letzte Zeile ins Dokument eingegeben (und ganz schnell drei Sicherheitskopien gemacht). Dann die Stereoanlage angemacht und mit meinem selbst zusammengestellten Soundtrack zum Buch gefeiert (im "Abspann" läuft für mich "Fugitive" von David Gray - macht euch Gedanken!). Nur das Tänzchen fiel aus.

Ist das Eskapismus? Und wenn? Manchmal hab ich das Gefühl, dieser Eskapismus ist das Einzige, was mich davon abhält, durchzudrehen. Wenn meine Realität momentan daraus besteht, rumzuliegen und auf Arzttermine zu warten, dann flüchte ich doch lieber in meine Fantasiewelt. Und komme gestärkt und gut gelaunt und energiegeladen daraus zurück. "No Pflock" mag zwar fertig sein (was es noch gar nicht ist, das Urteil der Testleser und das Lektorat stehen ja noch aus), aber drei weitere Projekte scharren schon mit den Hufen ...

Dienstag, 8. März 2016

Zum #Frauentag: Die Vorbilder meines Lebens

Ich möchte an diesem Internationalen Frauentag nicht über die großen Namen der Geschichte schreiben, die bahnbrechende Errungenschaften für die Rechte der Frau erkämpft und Grenzen überschritten haben. (Auch wenn ich gestern Abend ein sehr schräges Video auf einem meiner Youtube-Comedy-Kanäle entdeckte, wie junge Amerikaner unsere Kanzlerin und "mächtigste Frau der Welt" wahrnehmen.) Mir geht es hier und jetzt nicht um Politik, sondern um Frauen, die mein Leben beeinflusst haben, ganz persönlich.

Vorbilder ist das falsche Wort. Ich habe keine Vorbilder in dem Sinne, dass ich wie jemand sein möchte. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden, um mit sich zufrieden zu sein. Das heißt aber nicht, dass es nicht Menschen gibt, die ich bewundere für Charaktereigenschaften und Dinge, die sie getan haben.

Frauen, die mein Leben prägten - da steht natürlich ganz vorne meine Mutter, ganz klar. Manche Ratschläge, die sie mir gegeben hat, haben sich mir einfach eingebrannt, auch wenn sie sich selbst teilweise gar nicht mehr an diese Gespräche erinnert. Immer sehr geradeaus: "Na, dann geh doch nach Neuseeland!" Und in dem Kopf der Schülerin, die gerade von Fernweh lamentiert, macht es plötzlich "Plop" und ich begreife, dass mir nach dem Abi wirklich jeder Weg offen steht. (Den ich mir leisten kann, aber diese Ernüchterung hat den Aha-Moment nicht geschmälert.) Es ist eben ein Unterschied zwischen es intellektuell wissen und tatsächlich begriffen zu haben. Ebenso, wie es mir sehr viel bedeutet hat, als ich ihr jüngst sagte: "Ich weiß, euch wäre es lieber, ich hätte einen festen Job und regelmäßiges Einkommen" und sie antwortete: "Nein. Weil ich sehe, wie viel glücklicher du bist mit deiner Selbständigkeit."

Sehr beeindruckt hat mich im Alter von 14 die Begegnung mit Chris in der Wildnis von British Columbia. Eine Biologin, die dort allein in einem selbstgebauten Holzhaus wohnte, das nur per Wasserflugzeug oder zu Fuß zu erreichen war. Sie erforschte die kanadische Tierwelt, führte kleine Gruppen Naturinteressierter über die Berge, zeichnete, schrieb auf ihrem solarbetriebenen Computer und backte wunderbares Brot in ihrem Holzofen. Jahre später habe ich sie mal gegoogelt, um überhaupt ihren Nachnamen zu erfahren, und eines ihrer Bücher gekauft. Wer mal richtig Fernweh kriegen will, muss sich nur ihren Blog anschauen!

Diese Kanada-Reise mit meinem Vater brachte mir die Begegnung mit einer zweiten tollen Frau ein: unserer Reiseleiterin Angelika. Sie war eine der ersten Berufs-Busfahrerinnen von Deutschland, auch wenn der Fahrprüfer sie wegen eines angeblichen Rechts-vor-Links-Vergehens durch die erste Prüfung rasseln ließ: "Der Fuß gehört auf die Bremse und eine Frau nicht hinter das Steuer eines Busses." Sie zwang mich, für den Rest der Gruppe die Übersetzerin zu spielen und mein Englisch zu üben, brachte mir das kraftsparende Laufen bei und organisierte am Ape Lake ein Boccia-Spiel mit runden Steinen. Sechs Jahre lang schrieben wir uns nach der Tour noch Briefe, und 2002 schloss ich mich wieder einer ihrer Reisegruppen an, diesmal ab anderen Ende der Welt, in Neuseeland.

Mein Leben wäre wahrscheinlich ganz anders verlaufen, hätte mich nicht kurz vor meinem 15. Geburtstag eine Elli Radinger angerufen. Sie hatte eine Kurzgeschichte von mir auf der Kinderseite unserer Zeitung gelesen und fragte, ob sie sie im "Wolf Magazin" drucken dürfe.  Das war der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit, die bis heute andauert: Anfangs schrieb ich Kurzgeschichten und Buchrezensionen, später groß angelegte Reportagen. Elli vermittelte mir den Kontakt zu Werner Freund, 2006 führte sie mich durch den Yellowstone Nationalpark auf Wolfbeobachtungstour für meine Diplompraxisarbeit. Allein ihre Biografie zu lesen, hat mich wohl langfristig dazu inspiriert, mich selbständig zu machen, obwohl sie eine derjenigen war, die mich am deutlichsten auf die Gefahren hinwies. Danke, meine Liebe!


Es gibt noch viele starke Frauen, die mein Leben begleitet haben (meine Deutschlehrerin Frau Stein, die Goethe vom Sockel holte und die ansteckendste Lache der Welt hat; Maria Held, meine Patin im Journalistik-Studium mit "Arbeitskaffee" und den ermutigendsten Wünschen zum Diplom; Agathe Kunze, mit 91 Jahren eine brilliante Zeitzeugin für meine Diplomarbeit, die mich während meiner Zeit in Stuttgart regelmäßig zur "Veschper" mit intellektuellen Diskussionen einlud, und viele andere). Und es kommen immer wieder neue hinzu, wie meine liebe Kollegin, die Textehexe, die mir den Start in die Selbständigkeit sehr erleichtert hat und großzügig ihre Erfahrung mit mir teilt. (Ich freu mich auf einen Zwergenschnaps in Leipzig!) Ihnen allen möchte ich auf diesem Weg vielen, vielen Dank sagen. Ihr seid klasse! Ich hoffe, ich kann irgendwann auch mal für ein Greenhorn so eine große Stütze sein.


Freitag, 5. Februar 2016

Gekaufte Rezensionen: Ein Appell an Selfpublisher

Eine Bloggerin schreibt über Selfpublisher und ihre Werke, führt kleine Interviews mit ihnen und verlinkt auf die Verkaufsseite. Toll! Immer wieder finden sich echte Schätze unter den Massen an selbstveröffentlichten Büchern. Der überforderte Leser kann jede Hilfe brauchen, sie auszugraben. Und auch diejenigen, die sich um gute Qualität in einem völlig offenen Markt bemühen. Vor allem, weil der Streit, ob Verlage das einzig Wahre sind, immer noch andauert.

Wie bitte? Die Bloggerin nimmt 15 bis 18 Euro für eine Autorenvorstellung? Von dem Autor selbst? Das ist kein Geheimnis, es steht ganz oben über der Liste mit Namen (zum Teil klein geschrieben), direkt bei dem "<3". Herzig, genau. Das sind die Interviews: Erinnern ein bisschen an Schülerzeitung, tun nicht weh. Rezensionen soll es wohl auch bald geben, aber noch führt der Link ins Leere. Ich bin mal gespannt, ob da früher oder später auch mal ein Verriss von einem Buch auftaucht, mit dessen Autor die Bloggerin so nett (und gegen Geld) geplaudert hat.

Man kann ihr nicht mal Irreführung vorwerfen, sie bietet ihre Dienste ja ganz öffentlich an. (Und nein, ich setze hier nicht den Link. Ich nenne keine Namen. Ich sage nicht, wie ich auf sie stieß. Ich stelle niemanden bloß, der sich nicht angesprochen fühlt.) Aber das heißt in meinen Augen auch, dass sich diese Dame kein einziges Mal Gedanken gemacht hat, was journalistische Verantwortung bedeutet. Zumindest hoffe ich das, sonst wäre es noch schlimmer. Kein Wunder, diese Verantwortung vergessen ja auch professionelle Journalisten öfter im Eifer des Gefechts. Aber diese Bloggerin bewegt sich online, sie bedient ein Medium (auch wenn es ihr eigenes ist), vielleicht hat sie Leser, die ihrem Urteil vertrauen. Realisieren diese Leser immer, dass sie gekaufte Inhalte lesen?

In meiner Heimatstadt sprechen viele Leute vom Anzeigenblatt als "Zeitung". Sie müssen nicht mehr die Tageszeitung abonnieren, weil ihnen in ihren Augen das Wichtigste ja auch so sonntäglich kostenlos ins Haus flattert. Dass die Inhalte dieses Anzeigenblatts nur deshalb diese Qualität besitzen, weil es sich bei der im gleichen Verlag erscheinenden Tageszeitung bedienen darf, daran denken sie nicht. Geht die Zeitung eines Tages aus Lesermangel ein, wird auch die Qualität des Anzeigenblatts abstürzen. Nun ist ein Anzeigenblatt als solches gekennzeichnet - trotzdem machen sich die Leser keine Gedanken, was das bedeutet: Ein Anzeigenkunde nimmt Einfluss. Er möchte nicht neben einem kritischen Artikel erscheinen, selbst dann nicht, wenn es nicht um ihn geht.

Ein Verlag ist ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen, das von den Anzeigenkunden fast ebenso abhängig ist wie vom Leser - ein gutes Drittel seiner Umsätze macht er mit ihnen. Das ist schon ein ganzes Stück weniger als noch vor fünf Jahren, aber das bedeutet leider nicht, dass Zeitungen sich dann wieder mehr dem Leser verpflichtet fühlen. Vielmehr werden die Redaktionen immer weiter zusammengespart, immer weniger Leute müssen unter immer mehr Zeitdruck Seiten füllen - und greifen dann auch mal auf einen Agenturtext zurück, der - Überraschung! - von einem bestimmten Kunden bezahlt wurde. Und manchmal - ich hab es selbst erlebt - wird der Journalist losgeschickt für einen eindeutigen Anzeigentext. Das war nach den Medienethik-Seminaren in Eichstätt durchaus ein Kulturschock.

Der Streit um die Unabhängigkeit der Redaktionen ist so alt wie meine Branche. "Wie kann ein Blatt dem öffentlichen Interesse dienen, das gleichzeitig über den Inseratenteil jedem zahlungsfähigen Privatinteresse zur Verfügung steht?", schrieb Erich Schairer schon 1929 in seinem Jahrbuch der Sonntags-Zeitung, kurz nachdem ihm das Kunstück geglückt war, sämtliche Anzeigen aus seinem Blatt zu verbannen. Das Internet bietet nun ganz neue und fantastische Möglichkeiten, sich von eben jenen Privatinteressen frei zu machen. Die Krautreporter scheinen ganz gut zu fahren mit ihrem Crowdfunding-Qualitätsjournalismus, und sie sind da nicht die Einzigen.

Und auf der anderen Seite öffnet das Internet die Türen für Leute wie besagte Bloggerin, die sich fröhlich für - letztlich journalistische - Inhalte bezahlen lässt. Vor Jahren machte ich ein Praktikum im Reisejournalismus, der wie kaum ein anderer Bereich der Gefahr der Korruption ausgesetzt ist. Ein Kollege sagte ganz offen: Er veröffentlicht alles, solange der Preis stimmt. Und auch die Veranstalter der Pressereise müssten noch einiges abdrücken, wenn er über sie schreiben soll. Und dieses T-Shirt da will er auch umsonst. Macht es das besser, dass er so offen damit umgeht? Nein!

Wer im Netz mit welchen Interessen was schreibt, ist unglaublich schwer nachzuvollziehen. Zeitungen werden wenigstens kontrolliert und notfalls vom "zahnlosen Tiger" gerügt. Ich will nicht, dass das Internet zu stark kontrolliert wird. Aber jeder Nutzer sollte sich bewusst sein, dass er nicht alles für bare Münze nehmen darf. Selbst wenn nicht offensichtlich Interviews verkauft werden, gibt es Gemauschel. Gekaufte oder getauschte Rezensionen bei Amazon sind schon lange ein Streitthema unter Selfpublishern. Ich habe natürlich auch schon die Bücher meiner Freunde positiv bewertet und bin dabei vielleicht nicht sonderlich objektiv. Aber sie gefallen mir wirklich und ich habe dafür keine Gegenleistung bekommen. Gefällt mir eines nicht, sag ich das der Freundin unter vier Augen und halte sonst die Klappe.

Aber sich Rezensionen zu kaufen ist nichts anderes als rücksichtslos.Ich kann diesen Menschen nichts anderes unterstellen als selbstsüchtige Motive. Wer so etwas tut, schreibt nicht aus Liebe zur Kunst, zum Thema oder zum Leser, sondern allein, um sich zu bereichern. Und auch wenn ich selbst jemand bin, der vom Schreiben lebt (und auch Corporate Publishing anbietet, was ich aber sehr genau trenne), kann ich das nur verachten. Deshalb bleibt auch mein böses Magendrücken, wenn Buchblogger nicht frei und ehrlich ihre Meinung schreiben, sondern sich einem Autorenkunden verpflichtet fühlen, und sei es nur unbewusst. Wer allein zu Hause vor seinem Computer sitzt, sollte eben selbst auf die Trennung von Redaktion und Anzeigen achten.

P.S. So kann man übrigens gekaufte Rezensionen eventuell erkennen

Freitag, 15. Januar 2016

Neues Jahr und Hexenschuss

Ja, was ist denn das? Weihnachten ging vorbei und kein Beitrag von mir, Silvester ... Da war ich auf einer Rollenspiel-Convention in anderen Welten vergraben. Jetzt wollte ich mit einem, genialen Beitrag das Jahr 2016 einläuten, stolz verkünden: I'm back! Leider ist es mehr zu "My back" geworden (ein Witz, den nur versteht, wer Spiderman 2 auf Englisch gesehen hat). Vielleicht ist es eine Spätfolge des euphorischen Bücherkistenschleppens, jedenfalls habe ich bösartigste Rückenschmerzen und kann kaum eine Viertelstunde am Stück am Schreibtisch sitzen. Das wäre eine gute Gelegenheit für eine Klage über die Verteilung von Fachärzten in Brandenburg. Angeblich sind wir sogar überversorgt. Aber wenn ich anrufe mit: "Kann mich kaum bewegen und mein Bein ist taub" und bekomme zurück: "In drei Wochen können wir Sie dazwischenschieben", hört sich das für mich nicht so an. Aber ich bin gerade zu müde für Politik. Und hab zum Glück Berlin in relativer Nähe, wo ein Orthopäde noch die Kapazität hat, einen Notfall als Notfall zu behandeln. Aber erstmal bleibt mir nur übrig, auf den MRT-Termin zu warten und Tee zu trinken (danke, Mr. Rickman, für all die großartigen Momente). Bald scheint auch wieder die Sonne!


Montag, 7. Dezember 2015

Kinder und der Wolf: Über den Unterschied von Klischee, Angst und Vorsicht


"Die sind doch gar nicht böse!" Hach, was liebe ich Kinder manchmal. Gerade haben wir die ganzen Märchen durchgehechelt und analysiert, welchen Eigenschaften dem Wolf darin zugeschrieben werden: intelligent, hinterhältig, böse. Aber wenn ich sie frage, warum der Wolf so böse ist, bekomme ich diese Antwort. Weil sie das Fabelwesen im Kopf gar nicht mit dem konkreten Tier in Verbindung bringen. Weil sie zwar die Geschichten kennen, aber die Vorurteile (noch) nicht verinnerlicht haben. Deshalb finde ich es so wichtig, mit Wolf-Seminaren an Schulen, Mehrgenerationenhäuser, sogar Kindergärten ranzugehen.


Ängste sind trotzdem da, auch wenn Kinder es nicht immer zugeben wollen. Wenn ich ihnen am Beginn ein Wolfsheulen vorspiele, sind mir schon manche zusammengezuckt - andere haben umso breiter gegrinst. "Gruselig" klingt es, und wenn sie sich vorstellen, alleine im Wald sowas zu hören ... Aber wann sind Kinder mal alleine im Wald? Die bislang naheste Begegnung mit einem Wolf in Deutschland hatte eine Hundebesitzerin aus Niedersachsen - und wenn die Jäger sich darüber beschweren, dass sie nichts anderes machen könnten, als den Wölfen klatschend hinterherzurennen, sage ich nur: Ja, macht das! Wenn ein Wolf zu wenig Scheu zeigt, greift man im Yellowstone Nationalpark auch erstmal zu Verschreckungsmaßnahmen. Warum wird immer gleich nach dem Abschuss geschrien? Neugierige Wölfe und faule Wölfe, die die kürzeste Strecke durch ein Wohngebiet nehmen, sind nicht automatisch gefährlich.


Kinder sind da noch ganz weltoffen. Als ich beim Jubiläumswochenende der Stadt Schwedt mit meinem Infostand in der Fußgängerzone war, konnte ich das selbst erleben. Aber auch über die kritischen Fragen der Erwachsenen hab ich mich gefreut. Das ist besser, als mit bösem Blick vorbeizugehen und im letzten Moment "Abknallen sollte man se!" zu zischen. Das nützt niemandem was. Besser ist es, darüber zu sprechen, wie man sich verhält, wenn man einem Wolf begegnet, über Schutzmaßnahmen für Nutztiere ... Ich verstehe Landwirte, die sich über den Mehraufwand ärgern. Aber, ganz ehrlich: Jahrhundertelang haben die Menschen Schafe gezüchtet, nur im letzten mussten sie dabei auf Übergriffe von Raubtieren verzichten. Ich denke, wir müssen uns einfach darauf besinnen, wie der Job richtig gemacht wird. Wer allerdings die Welt rein nach "Nützlichkeit" einteilt und alles, was ihn irgendwie stört, abknallen, abhacken, wegreißen will - mit dem ist es schwer zu diskutieren, weil wir eine zu unterschiedliche Philosophie vom Leben haben.


Mittlerweile hab ich schon eine kleine Sammlung an Bildern, die Kinder in meinen Seminaren malen. Das hier von Pauline finde ich super: Mama Wolf bringt dem Welpen einen toten Hasen - da ist nichts beschönigt, verhätschelt, aber da ist auch keine Angst. Der Wolf ist ein wildes Tier, nicht mehr und nicht weniger. Und das Thema spricht gerade Jungs an: Bei zwei Vorlesetagen an der Schwedter Grundschule am Waldrand habe ich schon feststellen können, dass gerade die, die sonst gern auf dem Stuhl rumzappeln, mir bei Wolfsgeschichten förmlich an den Lippen kleben. Wenn es zur großen Pause klingelt und Kinder still sitzen bleiben, weil sie hören wollen, was ich noch zu sagen hab - ein größeres Kompliment kann man nicht kriegen.

Verstehen lernen: Bei Wölfen geht viel über die Körpersprache


Die Wölfe sind da. 37 Rudel und sechs Paare nach dem aktuellen Stand. Ich musste zwar noch auf die andere Seite von Berlin fahren, um eine (höchstwahrscheinlich) echte Wolfsspur zu finden (obwohl wir schon soooo gesucht haben).

Kleinere Hinterpfote sauber in den Abdruck der größeren Vorderpfote gesetzt,
 schnurgerader Verlauf über hunderte von Metern - könnte das Original sein

Sie sind freiwillig gekommen, weil sie sich hier wohlfühlen, weil es schon früher ihr Zuhause war. Sie brauchen keine Wildnis. Mit Vorsicht und Respekt können wir gut zusammenleben. Ich freue mich immer noch auf meine erste "deutsche" Wolfsbegegnung.

P.S. Der Titel des Beitrags ist natürlich an "Peter und der Wolf" angelehnt. Hab's gerade mal wieder gehört und dachte mir: Für seine Zeit - 1936 - ist es geradezu erfrischend, wie wenig echte Böse-Wolf-Klischees darin vorkommen. 1. Hat nur der Großvater vor dem Wolf Angst (der Alte, der die Schauergeschichten kennt), nicht Peter. 2. Kommt der Wolf erst aus dem Wald, nachdem die Menschen von der Wiese verschwunden sind. 3. Schnappt er sich die Ente, das langsamste und dümmste Tier, das nicht mal zu fliegen versucht. Dass die Jäger wild auf den Wolf losballern, der schon längst gefangen ist, finde ich auch interessant. Ein Glück nur, dass in Realität Wölfe nie Beute lebendig verschlucken. Nie wird gesagt, dass die Ente märchenmäßig aus dem Bauch befreit wird - also wird sie jetzt langsam und qualvoll verdaut?