Freitag, 30. Oktober 2015

#allhallowsread: Keine Gruselgeschichte

So, morgen bin ich auf einer Quasi-Halloweenparty und hab keine Zeit, um Videos zu drehen, aber ich möchte trotzdem einen kleinen Beitrag zum All Hallows Read leisten. Letztes Jahr habe ich einen Klassiker gelesen, das Gespenst von Canterville. Aktuell gäbe es genügend Gruselgeschichten mit realem Hintergrund, aber in meinem Bücherregal was zu finden, war gar nicht leicht. Deswegen habe ich mich stattdessen für eines meiner absoluten Lieblingsbücher entschieden, "I see by my outfit" von Peter S. Beagle, und versucht, die Sprachbarriere zu überwinden.

P.S. Und wer wieder über Halloween maulen will, den verweise ich ebenfalls auf meinen Blogbeitrag von 2014 zu dem Thema bööööööööse Amerikanisierung.


Samstag, 10. Oktober 2015

Flüchtlinge sagen: Danke Deutschland!



Heute haben syrische Flüchtlinge in ganz Deutschland Rosen verteilt, als Dankeschön, dass sie bei uns eine sichere Zuflucht finden konnten. Ich bin mit einer Gruppe durch das Schwedter Oder-Center gelaufen. Nadra hatte mich dazu eingeladen - und mir die erste Rose überreicht. Ich habe sie und ihre Schwester am Donnerstag zufällig auf der Straße getroffen, zusammen mit Wenke Paul, die in der Flüchtlingsunterkunft Deutsch unterrichtet. Um den beiden allerdings dabei zu helfen, den notwendigen Anmeldekram auf dem Amt zu erledigen, konnte sie nicht gut genug Englisch. Also  sprang ich spontan als Übersetzerin ein. Nadra spricht ausgezeichnet Englisch, sie hat vor dem Krieg in Aleppo Informatik studiert. Auf der Flucht lernte sie innerhalb von drei Monaten Türkisch, deshalb bin ich mir sicher, dass sie auch das Deutsche bald meistern wird, mit der richtigen Anleitung. Sie möchte gern ihr Studium beenden.


Dieser Nachmittag hat mir gezeigt, dass leider momentan viele Zuständige offensichtlich ziemlich überfordert sind: Das Bundesamt in Eisenhüttenstadt hat Nadras Unterlagen nach Prenzlau geschickt statt nach Schwedt, die Organisatoren im Flüchtlingsheim schickten sie zum Rathaus I, dabei sitzt die Ausländer- und Meldebehörde in Rathaus 2, Übersetzer gab es auch keine. Wettgemacht wird das durch nette Beamte, die sich nicht als strenge Paragraphenreiter aufführen. Denn obendrein hat das Bundesamt vergessen, Nadras vorläufige Erlaubnis, sich in Deutschland aufzuhalten, bis über ihren Asylantrag entschieden ist, zu verlängern. Als ich ihr das übersetze, bricht sie fast in Tränen aus: "Heißt das, ich bin jetzt eine Illegale?" Nein, beruhigt sie die Schwedter Beamtin, sie kümmert sich um alles.

Dass in Ostdeutschland gerade die älteren Menschen nicht besonders gut Englisch können, macht die Kommunikation nicht leicht. Aber den Mittelfinger, den ihr ein paar junge Männer aus dem Auto heraus gezeigt haben, hat Nadra sehr gut verstanden. Nicht immer fühlt sie sich sicher auf der Straße, gibt sie zu. Aber im Oder-Center hat sie heute ein paar schöne Begegnungen. Tatsächlich lehnt mal der ein oder andere die Rose mit einem bösen Blick ab, aber vielleicht denkt er auch nur, die Gruppe will was verkaufen. Andere reagieren begeistert, fragen nach, sagen "Herzlich willkommen", machen Fotos. Irgendwann muss sich Nadra die Tränen der Rührung aus den Augen wischen.

Seit einer guten Woche sind wohnen die Schwestern in der zur Unterkunft umgebauten ehemaligen Ehm-Welk-Schule. Dass kurz vor ihrem Einzug ein paar Nazi-Arschlöcher eine Kundgebung vor dem Gebäude gemacht haben, erzähle ich ihr lieber nicht. Die hatten auch nicht wirklich viel Publikum - aber eben leider auch nicht viel Gegenwehr. Kaum ist der Organisator des Bündnisses gegen Fremdenfeindlichkeit in Schwedt in Urlaub, kriegt keiner so richtig einen Protest organisiert. Mit zwei Handvoll Leuten hab ich also im Nieselregen gestanden und den Idioten Bier vorgetrunken - sie hatten nämlich bei ihrem Facebook-Aufruf extra ermahnen müssen, dass Alkohol nicht erwünscht sei auf der Kundgebung. Die kennen wohl ihre Pappenheimer.

Heute also lieber Rosen, Lächeln und Dankeschön. Und weil das Wetter so toll ist, machen wir zu dritt noch einen Ausflug ans Bollwerk. denn die richtig schönen Ecken von Schwedt haben Nadra und ihre Schwester noch gar nicht gesehen. Am glitzernden Wasser müssen sie gleich an ihre Heimat denken, die Gebirge, das Mittelmeer. Doch die Landschaft ist durch den Krieg genauso zerstört wie die historische Zitadelle von Aleppo. ISIS und der syrische Islam haben nichts miteinander zu tun, versichert sie mir. Auch wenn sie ein Kopftuch trägt, kennt sie ihre Heimat als offenes Land, in dem sie wie viele Frauen ihr Studium begann, wo viele verschiedene Religionen zusammenleben. Dann kamen die Fundamentalisten und behaupteten auf einmal, sie seien keine echten Muslime. Verrückte und Verbrecher sind das, sagt Nadra. Doch leider werden zu schnell alle Muslime in einen Topf geworfen, wie mir schon ein Konvertit im Interview sagte.

Ausgerechnet die Geschichte Europas macht Nadra Mut: Nach dem zweiten Weltkrieg lag nicht nur Deutschland in Trümmern, aber Europa hat sich aufgerafft, alles wieder aufgebaut, ist heute friedlich und erfolgreich. Denn wenn der Frieden kommt, will sie sofort wieder nach Hause und Syrien aufbauen helfen. Heimat ist einfach Heimat.

Dass die Deutschen für alles ein System haben und Dinge einfach funktionieren - und wenn nur der Bus pünktlich abfährt -, das bewundert Nadra sehr. Aber ihr fällt auch auf, wie leer die Schwedter Straßen sind, wie wenig junge Leute man sieht und dass hier offenbar nicht so viel gefeiert wird, wie sie es von Zuhaus gewohnt ist. Am Bollwerk aber gefällt es ihr sehr. Der Eismann gibt spontan Waffeln und Kaffee aus als Willkommensgeschenk und setzt sich dazu, um über die unterschiedlichen Kulturen zu plaudern. Nadra freut sich so über diese Herzlichkeit, dass sie ihn zum Abschied umarmt.




Das war für mich ein wunderschöner Nachmittag mit neuen Freunden. Auch wenn nicht jeder überschüssige Klamotten im Schrank hat oder sich zum Deutschlehrer berufen fühlt - einfach nur mit den Neuankömmlingen plaudern und ihnen ein freundliches Gesicht zeigen, das kann schon so viel ausmachen. Und passend ist auch heute meine Posterbestellung eingetroffen:


Ich freue mich aufs nächste Treffen!

Freitag, 18. September 2015

Stuntfrau schlägt Makler nieder



Jaja, lasst mir mal den Spaß einer irreführenden Überschrift - die Aufklärung kommt noch. Heute geht's um eine Grenzüberschreitung, die ich nicht selbst erlebt, sondern nur hautnah dokumentiert habe: Meine Freundin Moni hat sich den Spaß gemacht, im Filmpark Babelsberg an einem Stuntman-Workshop teilzunehmen. Ich bin mir sehr sicher, dass das eine Grenzerfahrung ist, die ich selbst nie teilen werde. Ich bin Realist: So unsportlich, wie ich bin, würde ich mir schon bei der ersten einfachen Übung was zerren, brechen oder im besten Fall schlicht außer Atem kommen und umfallen. Deshalb war ich sehr zufrieden damit, den ganzen Tag neue Funktionen an meiner geliebten neuen Kamera auszutesten. Auch wenn es mich am Ende ziemlich gejuckt hat, mich auch mal an das Dach eines fahrenden Autos zu klammern.


Moni dagegen hat schon einiges an Kampferfahrung. Schließlich betreibt sie seit Jahren mit ihrem Mann Schaukampf. So haben wir uns überhaupt kennengelernt: Ich ging die Straße entlang, als plötzlich vor mir ein Mann mit einem Degen - ach, Entschuldigung: einem Rapier - aus einer Garageneinfahrt sprang. So hatte sie wenig Probleme mit den Faust- und Stockkämpfen in dem Wochenendkurs.


Größere Überwindung, verriet sie mir später, kostete es sie, auf den schmalen Leitern der Kulisse im "Vulkan" herumzuklettern, auch wenn natürlich niemand von ihnen verlangte, aus 20 Metern runterzufallen, wie es in der Stuntshow geschieht.


100 Euro pro Meter Fall bekommt ein Profi übrigens, wenn er an einem Filmset ist. Es ist sehr faszinierend, Christoph, Martin und Co zuzuhören, wenn sie von ihrer Arbeit erzählen. Wehtun gehöre einfach dazu, je gefährlicher ein Stunt, desto höher das Honorar. Es wundert mich nicht, dass in diesem Jahr nahezu alle Action-Film-Fans feuchte Augen bekamen angesichts der unglaublich gut gemachten praktischen Effekte von "Mad Max Fury Road", vor allem, weil wir lange Zeit mit miesen Computeranimationen zugedröhnt wurden. Aber jetzt, wo ich die Stuntleute mal so genau beobachten konnte, mache ich mir doch ein wenig Sorgen, ob wir mit unserem Wunsch nach realistischer Gewalt in Filmen nicht zu viele Menschen in reale Gefahr bringen.


Aber die Stuntleute nehmen das natürlich recht gelassen. Erstens sind sie gut trainiert ("Die Show ist unser Training. Nach einer Dreiviertelstunde davon bist du körperlich total am Ende.").


Zweitens gibt es genaue Absprachen und Sicherheitsvorkehrungen, die sie auch in ihrem Workshop weitergeben. "Hartsein ist Kinderkram. Draufgänger können wir nicht gebrauchen", sagt Martin. Sind das nicht zwei großartige Sätze? Nur, wer einen kühlen Kopf bewahrt und sich an die Regeln hält, kann im Team mitspielen.


Drittens ist aber jedem klar, dass früher oder später irgendwas passieren wird. Jeder, der im Vulkan arbeitet, habe einmal eine ernsthafte Verletzung gehabt, meist direkt am Anfang seiner Karriere. "Das lehrt Respekt." Damit ist kein gebrochener Zeh gemeint oder ein Muskelriss, sondern etwas, das Monate und Monate an Reha benötigt. Wer danach wiederkommt, der bleibt dabei - und hat künftig mehr Respekt vor den Risiken.


Die Kursteilnehmer sind umso mehr von der Show beeindruckt, für die an beiden Tagen die Fortbildung unterbrochen werden muss - gerade weil sie am eigenen Leib erleben, wie schwer es ist, alles zu choreografieren. Am Samstag geht eine Stuntfrau wirklich K.O., weil sie zu früh in den Schlag ihres ca. 50 Kilo schwereren Kollegen reinrennt. Aber das Publikum bekommt das gar nicht groß mit. Die Laien überstehen dank guter Betreuung das Wochenende ohne Verletzungen, obwohl sie noch mehr Fehler machen.


Am Ende bekommt jeder eine Urkunde, ein (auf Wunsch alkoholfreies) Bier und später einen Kurzfilm, den sie am Sonntagnachmittag selbst gedreht haben. Und natürlich einen Muskelkater, blaue Flecken und einen Haufen toller Erinnerungen, die ihnen niemand nehmen kann.



Selbst ich, der ja nichts anderes getan hat, als die schönste Perspektive zu suchen, um die Action einzufangen, bin immer noch beeindruckt. Ach ja, und nach ein paar Insiderstorys noch ein Stück weiter desillussioniert, was das deutsche Fernsehen betrifft. Nicht, dass ich viel erwartet hätte, was den Realitätsgehalt von Reality-Shows betrifft, aber das ist schon ein starkes Stück: Stuntleute sieht der durchschnittliche Zuschauer öfter, als er denkt. Wenn nämlich die angeblich echten Fälle von "Mieten, Kaufen, Wohnen" zu langweilig sind, springt dann mal eine Stuntfrau ein, die in einem "Wutanfall" den Makler in die Badewanne schubsen darf. Hoffentlich hat sie dem vorher beigebracht, wie man richtig fällt.

Dienstag, 1. September 2015

P.S. Starke Worte in der Flüchtlingsdebatte

Nachklapp zu meinem jüngsten Blogbeitrag zum Thema Flüchtlinge. Während bei Facebook die rechte "Protestseiten" gegen Flüchtlingsheime wie giftige Pilze aus dem Boden schießen, melden sich aber auch immer mehr Menschen zu Wort, die für Verständnis werben oder den selbsternannten "besorgten Bürgern" mal den Unterschied zwischen Hetze und freier Meinungsäußerung erklären. Hier eine kleine Sammlung meiner Lieblingsbeiträge. Einerfehlt leider, den finde ich nicht wieder, der nämlich einen sehr interessanten Aspekt ansprach, den wir gerne vergessen: Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Menschen, die aus diesen Ländern flüchten, mit ansehen mussten, wie ihre Familien mit UNSEREN Exportwaffen erschossen wurden!

- Der Postillon sticht mal wieder ins Schwarze mit der Satire, wie die Regierungen am liebsten mit dem Problem umgehen würden: "Alles wieder gut: Österreich versenkt Lastwagen mit 71 toten Flüchtlingen im Mittelmeer"

- "Jetzt lernen Sie meine Oma kennen" - eine Erinnerung daran, dass viele Deutsche auch mal Flüchtlinge waren.

- Jan Böhmermanns Deutschkurs über die Definition von "Asylkritikern"

- Oliver Kalkhofe, der sich als "Gutmensch" outet und den Hasskommentatoren gleich ihre Vorlage mitliefert. 

- Und ja, auch wenn ich mit dem Kram, den die beiden Herren Joko und Klaas anstellen, 0,00 anfangen kann: Danke für die Absage an "Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen".

Ja, darfst du. Du wirst nicht sofort verhaftet, weggesperrt, gefoltert, getötet, wenn du deine Meinung sagst. Deshalb geht es uns so gut. Aber du darfst nicht glauben, dass Meinungsäußerung heißt, dass dir niemand widersprechen darf.

Samstag, 15. August 2015

Heim nach Afghanistan

Meine Schwester saß jüngst im Zug nach Frankfurt, schräg gegenüber von einem Mann mit drei riesigen Koffern, der in einer ihr unbekannten Sprache in sein Handy redete. "Keine Ahnung, worum es ging, aber es klang wirklich schön", erzählte sie mir. Sein Deutsch war dagegen sehr gebrochen. Als sie sich dem Bahnhof Frankfurt Flughafen nährten, brauchte es drei Anläufe, bis Martina seine Frage verstand: Ob er jetzt hier aussteigen müsse. Ja, bestätigte ihm meine Schwester und half ihm mit den Koffern. Und der Mann erzählte strahlend, dass er heute nach Hause fliege, heim nach Afghanistan. Für Martina war das ein Aha-Erlebnis: Wir verbinden Afghanistan nur mit Krieg und Terror, aber für viele Menschen ist es eine Heimat und sie leben gerne dort. Sie schwärmen von der Landschaft, der Kultur und den Menschen. Dem Mann im Zug geht das Herz auf, wenn er daran denkt, endlich nach Hause zu kommen.

Ich habe vor ein paar Jahren die Fotografin Lela Ahmadzai kennengelernt. Sie lebt seit vielen Jahren in Deutschland, seit ihr Vater mit der Familie herzog, um gerade den Töchtern eine vernünftige Bildung zu ermöglichen. Lela beschäftigt sich sehr mit der Rolle der Frau in Afghanistan und hat beispielsweise sehr beeindruckende Beiträge über die Frauenfußballnationalmannschaft gemacht. Nach all den Jahren lässt ihre Heimat sie einfach nicht los.

Die dort stationierten Soldaten mögen es kaum abwarten können, endlich abziehen zu dürfen, doch wer Afghanistan seine Heimat nennt, wird es garantiert nur ungern verlassen wollen. Und das gilt genauso für die Tausenden von Flüchtlingen, um deren Unterbringung aktuell so hart gestritten wird. Sieht man sich die Weltkarte an, woher sie kommen, ist schnell klar: Das sind keine "Wirtschaftsflüchtlinge" in dem Sinne, dass sie sich mal eben ein Nest in einer Steueroase bauen wollen - das sind eher einige Deutsche, deren Lieblingsziel die Schweiz ist. Schließen wir zu schnell von uns selbst auf andere? Stellen sich manche tatsächlich vor, dass die Menschen in Syrien eines Morgens sagen: Ach, wie wäre es, wenn wir auswandern, in Deutschland können wir voll das Geld scheffeln? Das kann nur eine Generation glauben, die in den vergangenen 70 Jahren komplett vergessen hat, wie es war, ein Flüchtling zu sein. Es ist nicht wirklich so, dass es denen "alles in den Arsch geschoben" wird, wie ein Schwedter jüngst bei einer Einwohnerversammlung sagte. 143 Euro im Monat nennt er in den Arsch geschoben? Mag er mal darauf zurückgestuft werden? Oder schauen, ob er Lust hat, in einer Flüchtlingsunterkunft zu wohnen? Oh nein, das Geld scheffeln hier ganz andere!

Aber nicht die gehen durch die Hölle, das sind wieder mal die Flüchtlinge, die ohnehin schon so viele traumatische Erlebnisse hinter sich haben. Als der Postillon titelte: "Flüchtling froh, dass er Hass und Gewalt schon aus seinem Heimatland gewohnt ist", das war der Zeitpunkt, an dem die Satire so ins Schwarze trifft, das es richtig weh tut. Auch hier in meiner Region (großflächig genommen) nimmt die Gewalt zu, werden Menschen anderer Hautfarbe im Park angegriffen und zusammengeschlagen. Vielleicht war sogar einer derjenigen darunter, mit denen ich mich so nett unterhalten hatte (s. "Asyl mit Rollstuhl"). Ich habe Angst, wenn ich sowas lese. Aber ich weiß, dass ich diese Angst überwinden muss, um helfen zu können. In Schwedt hat sich bereits eine Gruppe gebildet, die Ja zu dem Flüchtlingsheim sagt.

Ich kenne jemanden, der seinen Job beim Ministerium an den Nagel gehängt hat - zuständig für die Abschiebung, ganz nah an den Schicksalen. Ich wünschte mir, diese ganzen Meckerer würden mal einen Tag in die Schuhe eines Flüchtlings steigen und darin herumlaufen, wie es in einem literarischen Klassiker heißt.

Mittwoch, 5. August 2015

Kinderkram ist klasse

Ich hab mir einen Raptor gekauft. Als anatomisch korrektes Kuscheltier mit Federn. Adieu, Küchenszene, stelle ich sie mir flauschig vor, sind die Kerlchen aus Jurassic Park nicht mehr ganz so furchteinflößend.


Ach, wem mache ich was vor, der Filmausschnitt ist bis heute spannend! Als elfjähriger Saurierfan flehte ich meine Eltern an, mit mir ins Kino zu gehen (FSK 12). Sie gaben schließlich nach unter der Bedingung, dass mich beide beleiteten und ich keine Alpträume bekäme. Während sich meine Eltern links und rechts immer wieder hinter den Sitzen ihrer Vordermänner versteckten, knabberte ich Popcorn und amüsierte mich königlich.  - Oh, hej, wenn hier Kinder lesen, diese Links sind FSK 12, gell? Pfoten weg! - Mein Vater am nächten Tag beim Frühstück: "Ich hab heute Nacht von Dinosauriern geträumt..."

Mir ist aufgefallen, dass alles, was mich als Kind faszinierte, mir bis heute nachhängt. Da kann ich im Kino sitzen und bei Jurassic World alle Logikfehler ignorieren, solange ich für den T. Rex jubeln darf. Meine Kuscheltiersammlung wird von Jahr zu Jahr größer, ich nenne sie heute nur "Souvenirs":

Der Kiwi aus Neuseeland

Corporal Flapjack Junior von der Royal Canadian Mounted Police

Und natürlich "Prawa Reca", meine wortwörtliche und im übertragenen Sinne "rechte Hand" bei Wolfseminaren

Zwar bin ich nicht dem Youtube-Katzenvideo-Wahn verfallen (aufgewachsen in einer Hundefamilie, hatte ich mit neun einen genauen Plan gezeichnet, wo in unserem Haus eine Katze Platz hätte, samt Konfliktpotential - Hund, Wellensittiche - und einem Zeitplan, wie viel ich mich um sie kümmern könnte. Es hat meine Eltern nicht überzeugt.), aber ich liebe "Simon's Cat". 
Und warum auch nicht? Quasi meine ganze berufliche Karriere baut auf Kindheitsträumen auf, heute mehr denn je: Mit zwölf hatte ich meinen ersten "Presseausweis" von der Jugend- und Umweltzeitschrift "Klick", die Begeisterung fürs Schreiben und Recherchieren ist untrennbar mit meinem Interesse an Naturthemen verknüpft. Der Hund, mit dem ich die ersten sechs Jahre meines Lebens aufwuchs, der uns beschützte und im Winter unseren Schlitten zog, hieß "Wolf". Mit elf schickte ich meinen ersten "Roman" an einen Verlag und bekam eine liebevolle und ermutigende Absage, über deren Formulierung sich die Lektorin offensichtlich viele Gedanken gemacht hat. 
"Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt", schrieb einst Friedrich Schiller - und es ist das Rollenspiel  gewesen, das mir den Spaß am literarischen Schreiben und meine kreativen Ideen wiedergegeben hat. Welche Runden Angela Merkel wohl früher heimlich geleitet hat? Zumindest meint ein Professor der Psychologie, dass Politiker sicher gute Rollenspieler seien und dass sich die Menschen durch das Spiel so entwickelt haben, wie sie sind - ob das nun gut ist oder schlecht. Und nicht nur Haustiere spielen, wie in dem Interview erwähnt. 2006 im Yellowstone Nationalpark beobachtete unsere Gruppe, wie der Wolf 302M, Spitzname "Casanova", sich an einem Schneehang auf den Rücken warf, um ihn hinunterzurodeln. 

Leider war er da noch zu weit weg für ein Foto. Hier benimmt er sich wieder "erwachsen"


Nun, wenn Angela Merkel je Rollenspielerin war, wird sie es wahrscheinlich nicht verraten, weil es zu kindisch wirkt. Kindisch - ein echtes Schimpfwort. Zwar klingt es wahnsinnig tiefgründig, wenn man sagt, man wolle das "innere Kind" bewahren, aber wenn man sich dann entsprechend verhält, ist auch keiner zufrieden. Kinder sind nämlich egoistisch und laut und stören. Aber sie haben auch Ideen, grübeln sich nicht alles kaputt und wollen die Welt verändern.

Nun, mir hat es viel gebracht, mich wieder darauf zu besinnen, was ich als Kind vom Leben wollte. Es hat mich glücklicher gemacht. Damals sang ich schon "Ich wollte nie erwachsen sein", ohne auch nur eine Zeile richtig zu begreifen. Aber Kinder haben sowieso die tollsten Theorien über die Welt. Resi, die vierjährige Tochter einer befreundeten Familie, beruhigte jüngst meiner Schwester: "Du wirst noch jung. Wenn du eine alte Oma bist, musst auch wieder eine Windel anziehen, und deswegen bist du dann wieder ein Baby." Unschlagbare Logik!







Mittwoch, 8. Juli 2015

Rollenspiel - die schönste und nützlichste Realitätsflucht der Welt



Ich tauch mal wieder ab für ein verlängertes Wochenende. Werde für König Arthus' Kreuzzug Lebensmittel und Nachrichten transportieren, eine Kolonie auf einem Eisplaneten aufbauen, durchgeknallte Computer-Technik-Priester ausschalten, nach der Schlacht ein paar Luftschiff-Piraten wieder zusammenflicken, mir von den Stimmen in meinem Kopf nützliche Tipps geben lassen... Rollenspiel-Con steht an!

„Pen & Paper“, Stift und Papier, lässt sich am besten als „Improvisationstheater ohne Publikum“ beschreiben - und klingt damit nicht mehr ganz so verrückt (oder versaut) wie Rollenspiel. Jeder denkt sich einen Charakter mit Stärken und Schwächen aus, der in einer Welt mit festgeschriebenen Regeln ein vom Spielleiter ausgedachtes Abenteuer bestehen muss. Ob ihm das gelingt, entscheiden auch die Würfel, die für jede Herausforderung geworfen werden (manchmal werden auch Karten gelegt, was den Erzählfluss nicht so stört). Pen & Paper ist der Ursprung des Rollenspiels, aber zugleich seine unbekannteste Variante. LARPer (Live Action Role Play) mit Kostümen und Schaumstoffwaffen erregen mehr Aufsehen,Computerspiele wie „World of Warcraft“ sind kommerziell erfolgreicher. Viele Autorenkollegen von mir machen Foren-RPGs und schreiben gemeinsam online Geschichten weiter. Ich dokumentiere mit Freunden auch meine Runden, aber der Unterschied ist: Wir haben die Geschichten "erlebt" - in unseren Köpfen, während wir um den Tisch saßen, Chips knabberten und uns "in character" anschrien.

Mittlerweile ist Rollenspiel schon auf dem Kinderkanal angekommen: In der Sendeschluss-Endlosschleife lernt Bernd das Brot diese "Nerds" kennen - vielleicht sind sie jetzt tatsächlich endgültig cool geworden? George R. R. Martin zumindest hat ihren Sieg bei seiner Lesung in Hamburg verkündet, als er darüber sprach, wie er in seiner Kindheit gehänselt wurde:"Damals waren Comics etwas für Freaks. Heute haben wir gewonnen. Heute beherrschen wir die Welt."

Trotzdem mache ich mir nicht immer die Mühe, meinen Bekannten zu erklären, welchem Hobby genau ich da fröne. "Spielenachmittag" nimmt das ältere Semester einfach so hin und denkt an Karten oder Mensch-ärgere-dich-nicht. (Ganz davon abgesehen, dass viele Stunden bei einer Convention tatsächlich mit Tichu draufgehen. Achtung, macht süchtig!) Ich hab nicht immer Lust auf die schrägen Blicke, die mir nach der Erklärung zugeworfen werden. Ein Freund von mir wurde immer besorgter, je mehr ich erzählte, und glaubte mich jedes Mal korrigieren zu müssen:

"Dann habe ich mich also in den Kampf gegen die Aliens gestürzt..."
- "Du meinst, die Figur, die du darstellst, hat sich in den Kampf gestürzt."
Er hatte so Angst, ich könnte den Bezug zur Realität verlieren!

Bin ich in meinem Bekehrungsmodus, habe ich sofort alle Argumente parat, warum Pen & Paper das tollste Hobby der Welt ist: Es fördert die Kreativität, ich lerne, mich in andere Menschen hineinzuversetzen, ich verbringe Zeit mit realen Freunden - meist kochen wir gemeinsam, unterhalten uns "out of play" und unternehmen auch sonst dinge zusammen -, ich kann verschiedene Problemlösungsstrategien durchspielen, mich mal richtig austoben. Nicht umsonst wird Rollenspiel auch in der Therapie eingesetzt. Mein ältester Rollenspielcharakter bildet jetzt sogar die Basis für eine Romantrilogie, an der ich gerade schreibe.

Viele Rollenspieler, die ich kenne, haben mit der 1984 erstmals veröffentlichten Fantasy-Welt „Das Schwarze Auge“ angefangen. Rund 15.000 Regelwerke hat Ulisses Spiele, einer der großen deutschen Verlage in dem Bereich, seit 2007 davon verkauft. Ulisses rechnet mit 50.000 bis 100.000 Rollenspielern in Deutschland, aber wie viele es genau sind, weiß keiner: Da man sich genausogut einfach so hinsetzen und ohne Regeln drauflos spielen kann, wer will das ernsthaft erheben? Nach einer verlagseigenen Studie ist der typische Vertreter 33 Jahre alt, Akademiker, eher männlich und mag Fantasy. Bis auf "männlich" trifft das alles auf mich zu. Trotzdem bin ich ein bisschen untypisch, weil ich das Rollenspiel erst nach dem Studium für mich entdeckt und gleich mit vielen erfahrenen Spielern zum Teil recht anspruchsvolle Systeme gespielt habe. Die ganzen "Einsteigersysteme" habe ich nie kennengelernt und hatte auch nie eine pubertäre Phase, in der ich einfach nur jeden Abend ein Monster töten wollte. Mir kommt es auf gute Charakterentwicklung an, stimmungsvolle Szenen und interessante Gespräche.

Na ja, und wenn meine Löwin einen Zauberork mit einem Schlag ihres Samuraischwerts in der Mitte spaltet, bin ich auch ein bisschen stolz.